Whiteys wirres Wunderland - Druckversion +- Bronies.de (https://www.bronies.de) +-- Forum: Off-Topic (https://www.bronies.de/forumdisplay.php?fid=11) +--- Forum: Diskussionen (https://www.bronies.de/forumdisplay.php?fid=14) +---- Forum: Atelier (https://www.bronies.de/forumdisplay.php?fid=42) +---- Thema: Whiteys wirres Wunderland (/showthread.php?tid=19327) |
RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 14.07.2016, 13:55 Projekt für dieses Wochenende: Handarbeitswhitey. xD RE: Whiteys wirres Wunderland - wil - 14.07.2016, 14:09 Ähh... ahh... öhhm... mhh... mkay? Geschmackssache.... Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich mit dem Anstecker links unten umgehen soll... ach ja, no lives matter! RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 14.07.2016, 14:16 (14.07.2016)willkommen im leben schrieb: Ähh... ahh... öhhm... mhh... mkay? Geschmackssache.... Der ist von der Band Knorkator und vielleicht oder vielleicht auch nicht ganz ernst gemeint. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 20.07.2016, 22:05 Neuer Kram. Arbeitstitel war "1917" Underneath The Shattered Skies (Öffnen) Skulls are torn and bodies broken, Cries were silenced on a whim. Shrapnel are the painful token, As our great campaign turned grim. Overjoyed we marched to battle, We thought different on that day. Countless men were killed like cattle, Ground to dust in pointless fray. In the searchlights we are looking For the reason long since gone. On the fields the dead are crooking, As they senselessly march on. Great advances have been halted, Stopped by roaring cannonades. High ideals and vows exalted Were cut down with muddy spades. Trees and houses, all has vanished, Nothing but the trench remains. To this hell we have been banished, Burned out ghosts on blackened plains. Blood and tears are never drying, Mixed with sooty, washed out soil. Storms of steel and bombers prying Will release us from our toil. Azure heavens stopped existing, Over us an acid veil. In the mustard gas we're twisting, Struck by caustic mortar hail. Dark horizons, lit on fire, Burn beneath the shattered skies. War machines that never tire Shriek unseen from human eyes. Shell-shocked we are ducking deeper, Trembling hands dig early graves. On the frontline walks the reaper, Harvesting attacking waves. Endlessly the guns are singing In this war to end all wars. Darkness calls and death is bringing Us toward the peaceful stars. RE: Whiteys wirres Wunderland - wil - 20.07.2016, 22:18 Mhh... wieder eine pathetische Nacherzählung. Warum versuchst du nicht eine Aussprache aus, die nachvollziehbar, echt und emotional klingt? Wenn du immer deinen Heroismus einspielen lässt, wirkt es auf mich wie eine ferne Geschichte, mit der ich selbst nichts am Hut hab- Tote Relikte verblichener Epochen. Da fehlt mir als Leser einfach der Selbstbezug- oder soll es gar nicht emotional sein? RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 20.07.2016, 23:00 Wo siehst du da bitte Heroismus? Es ist erster Weltkrieg, das gehört für mich zu den unheroischsten Sachen die ich mir vorstellen kann. Das sind anonyme Massen die durch anonyme Granaten aus 10km Entfernung sterben, während sie um schwarze Kraterlandschaften voller Stacheldraht kämpfen. Es gibt ein schönes Wort aus einem Buch, das den ersten Weltkrieg für mich perfekt zusammenfasst: Stahlgewitter. Wenn dich das nicht emotional mitnimmt, dann weiß ich auch nicht. Aber bitte, sage mir wie du das mit emotionalem Selbstbezug schreiben würdest. RE: Whiteys wirres Wunderland - wil - 21.07.2016, 20:45 Spoiler (Öffnen) (20.07.2016)Whitey schrieb: Skulls are torn and bodies broken, RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 21.07.2016, 23:24 Spoiler (Öffnen) (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z1,2,3 gut, "great campaign"- Du schreibst aus der Perspektive nach der Schlacht. Eine eher spöttische Beschreibung hätte da besser gewirkt, im Bezug auf einen Rückblick durch verstörte Augen gebrochener Männer. Hast du dir mal die Rhetorik im ersten Weltkrieg angehört? Das ist genau worum es geht, der Kontrast zwischen der überschwänglichen Propaganda des Hurra-Patriotismus und der häßlichen Realität. Alles damals war ein großer Angriff, eine letzte Schlacht oder ein heldenhafter Vorstoß der angeblich einen schnellen Sieg bringt. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: "killed like cattle" klingt für mich irgendwie abgedroschen. Das macht es nicht weniger wahr. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z2- für den Grund, der lange fort ist... oder so ähnlich. Was für ein Grund? Wofür? Für den Kampf? Sucht man den nach so etwas mit dem Scheinwerfer? Sucht man danach nicht eher im eigenen Kopf? Mhh... so ganz werde ich mit der Formulierung nicht warm. Inhaltlich zwar nachvollziehbar und verständlich, aber da wäre bestimmt noch etwas mehr drin gewesen. Das ist nichtmal ne Metapher, nur die Tatsache dass auf Schlachtfeldern im ersten Weltkrieg ne ganze Menge großer Scheinwerfer rumstanden, gefolgt von einer Aussage über die Sinnlosigkeit des Krieges. Searchlight passte einfach zu der Aussage und beschrieb die Umgebung noch ein bisschen. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z1- Gleiches wie bei "great campain". Außerdem wiederholst du diesen inhaltlichen Ansichtspunkt, das muss nicht sein. Es geht dabei darum, wie die großen Versprechungen von Ruhm, Ehre und von "Weihnachten sind wir wieder Zuhause" von der Realität eingeholt wurde. Oder um es so drastisch auszudrücken wie es war: Alle freuen sich auf nen kleinen Krieg und dann schlägt dir einer mit nem Spaten den Schädel ein. Und ich versteh nicht was du gegen das Wort groß hast. Die haben da an einem Tag zehntausende von Soldaten in Sturmangriffen verheizt. Wenn das nicht groß ist, dann weiß ich nicht wie du groß definierst. Man nennt es Weltkrieg weil es groß war... (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z1,2- Klingt doch schon ganz gut, nur... "houses"? Waren Ortschaften die typischen Schlachtfelder? Und müssten dann nicht Ruinen zurückbleiben, in denen sich die Soldaten verschanzen können? Das ist doch das gruselige am sogenannten Niemandsland. Die haben die Orte so in Grund und Boden gebombt, dass davon nichts mehr übrig war außer Kraterlandschaften. Soldaten wurden zu Dörfern geschickt die sie nicht gefunden haben, weil die einfach nicht mehr da waren. Wenn man erstmal ein paar Millionen Granaten, Brandbomben und Chemiecocktails auf so ne Stadt abgefeuert hat, dann stehen da auch keine Ruinen mehr. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z3- Klingt wieder sehr pathetisch. banished to hell... Und dennoch zutreffend. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z4- "blackened"- Das Schlachtfeld wird sicherlich nicht geschwärzt, jedenfalls nicht mehr, als es so schon ist. Naja... vielleicht durch die aufgewühlte Erde, aber das wirkt eher abwegig. Bei deinen Formulierungen wirkt es eher, als käme das durch die Bomben oder so, was dann aber inhaltlich nicht hinkommen kann. Du kannst dir ja mal die Fotos angucken. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z1,2- Sehr gut formuliert, eine schöne Einleitung in eine neue Strophe. Nur "Azure heavens" widerspricht dem Rest, wo du eindeutig die Nacht als Handlungszeit andeutest. Wie kommst du darauf, dass das an einem Tag stattfindet? Außerdem braucht es in so einem Krieg nicht Nacht sein, damit es dunkel ist. Abgesehen davon ist Himmel nunmal generell einfach azurfarben. Es geht da um den Kontrast von klarem Himmel und Rauchwolken. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z3,4- =Z1,2; nur pathetischer. Schon wieder eine unnötige Inhaltswiederholung. An der Stelle hätte man ganz subjektiv darauf eingehen können, wie es sich anfühlt, im Giftgas zu verrecken. Brennen in der Lunge, andere Formulierungen von Schmerzen oder so. Dass um das Gas geht, weiß man nach Z1,2. Das stimmt sogar. Ich wollte es allerdings etwas spezifizieren. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z1,2- Wieder ein neues Objekt der Blickbegierde, sehr schön. Und ausdrucksstark formuliert. Wie würdest du pausenlose Artillerieangriffe, die Tage und Wochen dauern, denn nennen, wenn nicht "war machines that never tire"? (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z1- Top Einleitung! der Ausdruck "shell- shocked" gefällt mir besonders gut, es vermittelt sehr stark das triste, verwaschene Bild, das man sich- mitten in der erdenen Ungewissheit- vorstellen würde. Shell-Shock bzw. Kriegszittern (heute postraumatische Belastungsstörung genannt) ist eine Krankheit, die während des ersten Weltkriegs so häufig auftrat, dass es deswegen erst als Krankheit erkannt wurde. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z2- Gut. Aber "dig early graves"? Das könnte eine Metapher für etwas sein, wirk aber zu weit hergeholt. Wenn 18-jährige zu Tausenden draufgehen ist "frühes Grab" eine weit hergeholte Metapher? (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z3,4- Schlecht. Das ist völlig stumpf und passt gar nicht rein. Zumal nicht einmal klar wird, was du da gerade beschreibst. Irgendwie alles, was gerade auf den Soldaten ballert, oder wie? Da gibt es mit absoluter Sicherheit bessere Möglichkeiten, die Strophe abzurunden. Es geht da um die sogenannten Sturmangriffe, wo Soldaten reihenweise in Angriffswellen losgeschickt wurden, nur um dann von Maschinengewehren zefetzt zu werden. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z1- Nnnnein! "guns are singing"??? Das war wohl ein Paradebeispiel dafür, warum ich beim ersten Mal Heroismus bzw. eine pathetische Herangehensweise herausgelesen hab. Du schaffst schon wieder den Kontrast zwischen verherrlichend/imposant/... und bedrückend/dreckig/düster/primitive Ängste in blutverkrusteter Ohnmacht/... Dude, das ist bloß ne Anspielung auf Megadeth's "Symphony of Destruction". (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Z2- Ein Krieg, um alle Kriege zu beenden? So genau weiß ich es nicht mehr, aber auch wenn es stimmt- ich glaube nicht, dass das ein Fakt wäre, den ein Überlebender während seiner Geschichte erwähnen würde. Zumindest fällt es mir schwer, mir das vorzustellen und darum hätte ich den Part raus gelassen. Den ersten Weltkrieg hat man so genannt. Der erste Weltkrieg sollte ein großer Knall werden bei dem man die anderen schnell besiegt und dann alle Rivalitäten in Europa geklärt sind. Stattdessen wurde es eine jahrelange Schlammschlacht mit nem zweiten Teil als Zugabe, obwohl man sich danach sogar geschworen hat, nie wieder einen Krieg zu führen, weils so schlimm war. Es ist ironisch weil es rückblickend betrachtet kein Bisschen gestimmt hat. (21.07.2016)willkommen im leben schrieb: Zusammenfassend: Warum soll es nicht imposant sein? Was gibt es imposanteres, als die pure Zerstörungskraft, die so ein Krieg entfesselt? Ich hab eher das Gefühl, du denkst dass imposant automatisch etwas positives wäre, was es natürlich nicht ist. Es ist so übel weil es so groß und imposant ist. Wäre es klein, wäre es nicht so schlimm gewesen. Wir reden hier schließlich von einem Ereignis, das man regelmäßig "Urkastrophe", "Weltenbrand" und "Apokalypse" nennt. Krieg ist imposant. Mir kommt es vor, als wolltest du meinen Inhalt kritisieren, obwohl du dich noch nie mit dem Thema beschäftigt hast und erstmal nachfragen musst, ob das denn überhaupt so war. Meinst du, ich denk mir das aus oder was? Oder dass ich sowas nicht vorher recherchieren würde? Dann interpretierst du irgendwelche Metaphern in simple Beschreibungen hinein und wenn dann wirklich mal ne Metapher kommt, ist sie dir zu hoch und zu weit hergeholt. Das ist genau wie in dem Post, wo du mein Englisch kritisieren wolltest, obwohl du die Wörter erstmal nachschlagen musstest. RE: Whiteys wirres Wunderland - wil - 22.07.2016, 07:25 Spoiler (Öffnen) Ich kritisiere dein Englisch? Das kann man so nicht sagen. Ich hab von Anfang an gesagt, dass meines nicht so gut ist, ich aber trotzdem versuche, mich mit deinen englischen Werken auseinanderzusetzen. Das ist wohl auch der Grund, warum ich mich von nun an davon fernhalten sollte, wenn ich mir alles im Rückblick ansehe. Inhaltlich will ich das Werk auch nicht infrage stellen. Ich stolpere lediglich über auf deutsch übersetzte Wörter, die ich als solche in den betreffenden Situationen nicht verwenden würden. Außerdem scheint die Feinheit zwischen imposant und bedrückend ein schwieriges Pflaster in der Formulierung zu sein, das sich scheinbar ungenügend in einer Sprache begreifen lässt, die einem nicht so gut liegt. Ich finde, es benötigt viel Können, diese beiden relativen Gegensätze in einen fließenden Zusammenhang zu bringen, und scheinbar kann ich das eben in Englisch nicht richtig beurteilen, zumal mir teils auch geschichtlicher Kontext fehlt. Beides kann halt drin sein, aber meiner Meinung nach müsste das fließender ineinander übergehen. Zum Beispiel mit den imposanten Formulierungen am Anfang und zum Ende zu immer mehr auf die triste Art... Ach ja: ZB. "imposanten" Inhalt kann man auch anders als imposant formulieren. Vielleicht auf die zynische Art, vielleicht einfach nur auf eine traurige. Das hängt halt von der Position ab, aus der das Beschriebene erlebt wurde- vom jetzt traumatisierten Soldaten, der nun gar nicht mehr euphorisch und ggf. patriotisch gestimmt ist. Dass du aus der Soldatensicht schreibst und nicht aus der eines Außenstehenden oder eines Erzählers, merkt man am "we". Ich hoffe, dass sich jetzt erschließt, was mich gestört hat und dass du es mir nachsehen wirst Ach ja, noch was Inhaltliches: Spoiler (Öffnen) Wie kommst du darauf, dass das an einem Tag stattfindet? Außerdem braucht es in so einem Krieg nicht Nacht sein, damit es dunkel ist. Abgesehen davon ist Himmel nunmal generell einfach azurfarben. Es geht da um den Kontrast von klarem Himmel und Rauchwolken. Spoiler (Öffnen) Wenn 18-jährige zu Tausenden draufgehen ist "frühes Grab" eine weit hergeholte Metapher? Spoiler (Öffnen) Dude, das ist bloß ne Anspielung auf Megadeth's "Symphony of Destruction". RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 22.07.2016, 12:58 Ich schickte dir eine PM. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 25.07.2016, 20:43 Nachdem ich letztens gesagt hab, dass ich ja eigentlich ganz was anderes mache als Gedichte zu schreiben, ist mir aufgefallen, dass ich das schon lange nicht mehr gemacht hab. Also hab ich mich mal hingesetzt und angefangen die Kurzgeschichte zu schreiben, die ich schon länger mal machen wollte. Spoiler (Öffnen) Das Pacifica Paradox Zikaden. Außer den künstlichen Terrassen und gezüchteten Pflanzen gab es hier nichtmal mehr Vegetation, aber die Zikaden hörte man trotzdem immernoch. Aus allen Ecken zirpten die kleinen Biester und übertönten dabei sogar den Lärm der Großstadt. Derek lehnte sich über den Rand des Geländers und sah nach unten. Als er den Balkon seine Apartments betreten hatte, war es gerade dunkel geworden und die Zikaden hatten ihr abendliches Konzert begonnen. Er zündete eine Zigarette an und blies den Rauch in die glitzernde, von verwaschenen Neonfarben illuminierte Nacht hinaus. Vor ihm, und überall um ihn herum, lag Central Pacifica, eine riesige Metropole, die sich über hunderte winziger Inseln, Atolle und künstlicher Sandbänke erstreckte. Gewaltige Hochhäuser und Autobahnen hatten die winzigen Landmassen in eine riesige Betonplattform verwandelt, deren ursprüngliche Form nichtmal mehr zu erahnen war. Er wusste nur, dass sein Gebäude, Apartmentkomplex D-72, auf einem Stück Land gebaut war, aber welche Insel das hier mal gewesen war, konnte wohl niemand mehr sagen. Überall ragten gewaltige Türme, Pyramiden und Industrieschlote aus dem Asphaltdschungel hervor und erzeugten eine dämmrige Kulisse aus spiegelnden Fassaden, aufsteigendem Rauch und gelblichem Licht, das durch den wabernden Smog gebrochen und gedämpft bei ihm ankam. Die Stadt erstreckte sich über tausende Quadratkilometer hinweg, von den ehemaligen Marshall-Inseln bis nach Ex-Polynesien. Im Westen konnte man die Reklame der Pattaya Corp. sehen und weiter im Norden die entfernten Lichter von Okinawa und Neo-Tokyo. Der Tachikoma-Tower war in den letzten hundert Jahren auf so ungeheure Größe angewachsen, dass man ihn wahrscheinlich sogar bis nach Hawaii sehen konnte. Alles war zusammengerückt, die Welt wurde immer kleiner. Und unter der Stadt? Dort wo man nicht alles mit Sand und Beton zugeschüttet hatte, brandete noch immer der Ozean, ging fließend in die Kanäle und Straßenschluchten über, oder schlug in aufgewühlten Wellen gegen die Fundamente der Hochhäuser, als wollte er sich gegen dieses Monstrum aus Stahl und menschlicher Arroganz wehren. Wenn man genau hinhörte, die Zikaden ignorierte, die vermutlich aus Japan hierhergekommen waren, und sich nicht vom Lärm der Straßen stören ließ, konnte man das Meer immernoch rauschen hören. Unbändig, wütend und unbeugsam. Aber das alles war sehr weit entfernt. Begraben unter einem gewaltigen Sarkophag aus Gebäuden, Straßen und Brücken, die übereinanderliegend ein riesiges, dreidimensionales Verkehrsnetz bildeten, das schon lange sämtlichen Regeln und Kontrollen entwachsen war. Die Stadt tickte wie ein Uhrwerk und wucherte wie der Dschungel, der hier vielleicht einmal gewesen war. Das Meer hatte Derek jedenfalls noch nie gesehen. Nicht seitdem er vor 3 Wochen hier angekommen war. Es war fast unwirklich und nicht existent. Versteckt, ein paar hundert Meter unter seinen Füßen, wo Diejenigen landeten, die im wahrsten Sinne des Wortes den gesellschaftlichen Abstieg durchgemacht hatten. Derek atmete aus und schnippte seine Zigarette in das erleuchtete Nichts vor ihm. Wahrscheinlich würde die Glut ausgehen, bevor sie überhaupt den Boden berührt hätte. Er selber war ja nicht viel besser. Von Boston IV nach China, vorbei am japanischen Imperium und dem größenwahnsinnigen Hong Kong, direkt in dieses Loch am Ende der Welt. Es war groß, überdimensioniert sogar, aber es war dennoch das Ende der Welt. Früher, vor der globalen Urbanisierung und der Entstehung dieses größenwahnsinnigen Flickwerks, dachten alle, dass riesige Megastädte irgendwann inmitten einer menschenleeren Einöde existieren würden. Stattdessen kam alles ganz anders. Die Einöde schlich in die Städte und die Städte in die Einöde, bis beides zu einer untrennbaren Einheit verschmolzen war. So war es auch mit dem Pazifik passiert; und irgendwie auch mit ihm. Er seufzte und sah auf die Uhr. Noch ungefähr eine Stunde, dann musste er los. Tag und Nacht verschwammen ohnehin zu einer undurchdringlichen Masse, da war es egal, dass er um diese Zeit arbeiten musste. Die Nacht war taghell erleuchtet und der Tag vom aufziehenden Industrieabgas verdunkelt. Wer wusste schon, wann welche Tageszeit war? Wäre da nicht die kleine, altmodische, analoge Uhr an seinem Handgelenk, hätte er schon lange jegliches Zeitgefühl verloren. Aber wer wusste schon, ob seine Uhr überhaupt richtig ging? Alles war getaucht in eine ewigwährende, statische Dämmerung, die wie schwerer Nebel und endloses Bildrauschen über der Stadt hing. Er blickte auf, aber durch den erleuchteten Nachthimmel hindurch waren nicht einmal die Sterne zu sehen. Nur die auf die Wolken projezierte Reklame für Cyberisations-Kliniken, synthetische Körperteile, Hausroboter und natürlich Staubsauger. Verdammte Staubsauger, die kamen nie aus der Mode. Irgendwo da oben musste der Mond schweben, aber was war heutzutage schon der Mond? Nur die erdumkreisende Helium-3-Abbauanlage von NeOn-Equinox, American Eco und Verhoeven Europe. Sterne musste man sowieso nicht mehr sehen, man kam ja ganz einfach hin. Aber das war Grenzland da draußen, der neue wilde Westen. Nach allem was man hörte, war es schlimmer als die Slums in den Eingeweiden der Megastädte jemals sein könnten, vor allem nach dem Mars-Krieg und diesem ganzen verpfuschten Versuch, auf Pikes zu landen. Alles Idioten, wenn man ihn fragte. Als gäbe es auf der Erde nicht schon genug Probleme. Es war ein Wunder, dass es noch keinen vierten Weltkrieg gegeben hatte. Derek wartete eigentlich nur darauf, es war nur eine Frage der Zeit. Eigentlich war es sinnlos sich darüber aufzuregen, aber was sollte er sonst tun? Sie lebten in der Welt der größten medialen Vernetzung aller Zeiten, und waren doch so abgestumpft, dass man sich einfach manchmal vor Langeweile aufregte. Es war ironisch. Derek blickte erneut auf die Uhr, deren Zeiger sich nur quälend langsam über das Ziffernblatt schoben. Er war stolz auf diese Uhr, ein Erbstück, das seit zwei Generationen in Familienbesitz war. Eine echte Antiquität aus dem frühen 21. Jahrhundert. "Sowas wird heutzutage gar nicht mehr hergestellt", dachte er und lächelte zufrieden, als endlich eine weitere Minute verstrichen war. Noch 45 Minuten, so langsam könnte er sich auf den Weg machen. Derek drehte sich um und schloss die Balkontür hinter sich. Drinnen roch es nach Kaffee, Rauch und Reinigungsmittel. Der Staub schwirrte in gelblichen Flocken vor den Sonnenblenden. Die hohen, verrußten Bogenfenster dämpften das Licht noch weiter, als wäre der ganze Raum von einem unwirklichen Schleier umschlossen. Die cyberisierten Implantate in seinen Augen hellten den Raum zwar auf, aber die Diffusität seiner Umgebung vermochte selbst die modernste Technik nicht aufzulösen. So groß und vernetzt die Stadt auch war, schien es doch manchmal, als wäre sie um einen herum kaum existent. Das Apartment bestand aus einem großen Hauptraum und drei angrenzenden, kleineren Zimmern. Das Wohnzimmer reckte sich nach oben wie eine dunkle Kathedrale, wo ein verstaubter Kronleuchter von der Decke baumelte und auf eine dunkelgrüne Couchgarnitur heruntersah. Überall lagen Papiere, Bücherstapel und aerodynamische Apparaturen aus Messing herum. Dazwischen blinkten die LEDs der Geräte und im Hintergrund flimmerte bläulich der holografische Bildschirm des laufenden Fernsehers, der sich jeden Moment selbst abschalten würde, um Energie zu sparen. "... hat sich die radikale SEFP zu dem Anschlag bekannt. Das war der dritte terroristische Akt in Central Pacifica innerhalb von..." Und aus. Die Holoprojektoren glühten noch einen Moment in der Dunkeklheit und dann war an der Stelle, wo gerade noch die Nachrichtensprecherin zu sehen war, nur noch sein altes Bücherregal. Der ganze Raum war ein riesiges, florales Gebilde aus Art-Deco-Elementen, gebogenen Metallstreben und abblätternden Tapeten. Manch einer mochte sein Apartment für heruntergekommen halten, aber in dieser Stadt war es fast schon Luxus. Derek streifte einen abgewetzten, braunen Trenchcoat über und verließ seine Wohnung. "Auf wiedersehen, Mr. Fontaine", hörte er noch die digitale Ansage säuseln, als sich die stählerne Schiebetür automatisch hinter ihm schloss und verriegelte. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 26.07.2016, 21:45 Teil 2 von meiner Story. Spoiler (Öffnen) Derek nahm den Expressaufzug und genoss noch einmal die Aussicht über die Stadt, als er in der kleinen gläsernen Gondel nach unten fuhr. Dann hatte er Ground Level 5 erreicht, die oberste Straßenebene dieses Molochs, der gleich mehrere davon hatte und dadurch eher wie eine gewaltige Bienenwabe wirkte, als eine menschliche Konstruktion. Über Jahrzehnte hinweg war sie immer weiter gewachsen, bis Gebäude, Straßen und Maschinen mit der Zeit zu einem einzigen, riesigen Organismus verschmolzen waren. Eine riesige Kolonie aus Abermillionen von Individuen, die alle autonom funktionierten, keinen Gedanken aneinander verschwenden und doch, ohne es zu wissen, zusammenarbeiteten, um die Metropole am Leben zu halten. Ein Komplex und doch kein Komplex, beides zur selben Zeit. In der Ära der Stadtstaaten war das nicht der einzige Aspekt, wo komplette Gegenteile problemlos gleichzeitig nebeneinander existieren konnten. Verflochten und doch abgeschottet. Das war das Leben in den meisten der unzähligen Megacities. Derek stieg aus der Aufzugskapsel und bahnte sich seinen Weg durch hupende Fahrzeuge, sechsspurige Straßen, zwischen Gebäuden hindurch und die allgegenwärtigen Menschenmassen, bis er schließlich den örtlichen Regionalbahnhof erreicht hatte. Die Schienennetze breiteten sich wie metallene Äste in alle Richtungen aus und die vorbeirauschenden Züge verbanden die verschiedenen Distrikte der Stadt miteinander. Das hier war ein Wohngebiet, neutrales Territorium sozusagen, aber die Stadt selbst war fest in der Hand der Konzerne. Jede Firma hatte ihre eigenen Stadtteile und in einen von denen war Derek jetzt unterwegs, das Betriebsgelände von Kirschner Industries. Er arbeitete nicht direkt dort, sondern außerhalb, aber das Unternehmensshuttle war der schnellste Weg in diese Gegend. Im Stadtzentrum stand zwar noch immer das alte Rathaus, aber die Regierung dort war nichts weiter als die Marionette der Lobbyisten, falls die Beamten überhaupt genug zu sagen hatten, um irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Meistens trafen sie die Vorstände der Unternehmen einfach selbst. Central Pacifica war durchzogen von kleinen, autonomen Städten, die auf der Metaebene der Metropole zwar kaum auffielen, bei näherem Hinsehen aber die gesamte Stadtentwicklung bestimmten. Dort, wo die Konzerne herrschten, stellten sie Strom und Wasser, betrieben Kraftwerke und beauftragten Sicherheitsfirmen, mieteten Wohnungen für ihre Mitarbeiter und ersetzten das öffentliche Rechtssystem durch ihre allgemeinen Geschäftsbedingungen. Alles dazwischen war der Dschungel, wo die Stadt unkontrolliert wuchs, lebte, atmete, wucherte und innerhalb eines Herzschlags wieder zusammenfallen konnte. Dort sollte eigentlich die Regierung für Ordnung sorgen, doch das wurde durch die Ironie des Systems verhindert. Durch die systematische Entmachtung der Stadtverwaltung und die damit einhergehende Freiheit für die Wirtschaftsunternehmen, funktionierten die kleinen Enklaven der Konzerne zwar besser und unabhängiger als jemals zuvor, doch gleichzeitig ging alles andere den Bach runter. Urbanisierung durch De-Urbanisierung, sozusagen. Die Stadt wuchs in rasantem Tempo, weil die Konzerne freie Hand hatten, und gleichzeitig verfiel sie zunehmend, weil die öffentliche Verwaltung vollkommen machtlos war. Wieder eine Reihe von Gegenteiligkeiten, die innerhalb der selben Stadt existierten und sich mit beeindruckender Wechselwirkung beeinflussten, auch wenn sie sich eigentlich gegenseitig ausschließen sollten. Pacifica, die Stadt der Paradoxa. Für Derek war das allerdings kein Problem, zumindest kein akutes, genauso wie für den Großteil der Leute. Die Meisten arbeiteten ohnehin für die freie Wirtschaft und kamen so in den Genuss der Annehmlichkeiten der jeweiligen Firmendistrikte, doch alle anderen mussten sehen wo sie blieben. Natürlich, man dachte darüber nach und führte philosophische, sozialpolitische Debatten darüber, trat in Talkshows auf und berief Expertenkommissionen ein, doch letztendlich war es für die meisten Leute einfach kein Problem. Sie hatten anderes zutun. Genau wie Derek, der jetzt in den Zug zur Arbeit stieg und sich beeilen musste, um nicht zu spät zu kommen. Die Türen öffneten sich, Dampf zischte durch die barocke Halle und eine Masse von Menschen setzte sich in Bewegung. Dann das Selbe rückwärts. Menschen gehen, Türen schließen, los. Der Zug setzte sich schwerfällig in Bewegung und rauschte dann wie eine kometenhafte Feder mit Leichtigkeit über die blank polierten Schienen in mehreren hundert Metern Höhe. Die Welt nahm fahrt auf, verschwamm noch weiter, und mit dem sich schnell entfernenden Bahnhof blieben auch die Paradoxa und Gegenteile hinter Derek zurück. Sein Unternehmen war keiner der multinationalen Konzerne, sondern eine kleine Sicherheitsfirma namens Itallica Security Solutions, die Verträge mit einigen mittelständigen Unternehmen hatte und deswegen nicht zu den Streitkräften der Global Player in der Stadt gehörte. Nicht wie Lockhart, Secury-Tex oder die Nightwatch Group. Das war auch der Grund, warum Derek ein Stück außerhalb wohnte und nicht in einer der Konzern-Enklaven. Er hatte keine schicke Uniform, keine Dienstwaffe und kein firmeneigenes PDA, denn er war nur Pförtner in einer kleinen Biogelverarbeitungsanlage am Rande der Stadt. Es gab einen Grund, warum man ihn aus Boston IV in dieses Drecksloch verlegt hatte. Derek war nicht stolz darauf, aber er war entschlossen sich wieder hochzuarbeiten, auch wenn es lange dauern würde. Vielleicht war er nur ein Pförtner, aber er würde der beste Pförtner werden, den diese verkommene Stadt jemals gesehen hatte. Er lebte zwar nicht schlecht, aber im Vergleich zum kontinentalen Amerika – jedenfalls dem Teil, der nicht inzwischen zur Sträflingskolonie umgebaut worden war – war das hier noch immer die dritte Welt. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 27.07.2016, 14:41 Teil 3 von meiner Story. Spoiler (Öffnen) Plötzlich erschütterte eine Explosion den Zug. Kreischend riss das Metall auseinander, die zusammengedrängten Menschen wurden schreiend aus der brennenden Metallröhre geschleudert und verschwanden in den endlosen Tiefen der Häuserschluchten. Mit einem Ruck kam der Zug zum stehen, Wagons liefen aufeinander, türmten sich auf und barsten quietschend und fauchend in mehrere Teile. Derek hielt sich Instinktiv an einer Haltestange fest, als sich sein Wagon auf einen anderen schob und wie ein sinkendes Schiff in schräglage zum Stehen kam. Die Nachfolgenden Abteile schlitterten funkenschlagend über das Dach und drückten das Aluminium gefährlich ein. Überall quietschte und ächzte es. Rauch quoll aus allen Ritzen und um ihn herum loderten Flammen auf. Derek kam mit angesengtem Mantel hoch und sah sich um. Alles war verschwommen und unscharf, seine Sicht flimmerte. Immerwieder Bildausfälle und weißes Rauschen. Seine Netzhautimplantate mussten einen ordentlichen Schlag abbekommen haben. Derek fragte sich sowieso, wie er das überleben konnte, aber der Gedanke wurde schnell von dem Chaos um ihn herum verdrängt. Überall war Blut. Herausgebrochene Metallstreben hatten einige Passagiere einfach aufgespießt, manche waren unter ihren Sitzen zerquetscht- oder aus dem fahren Zug gerissen worden. Taumelnd bahnte sich Derek seinen Weg durch den zerstörten Wagon. Der beißende Qualm machte das Atmen fast unmöglich und Derek hielt sich hustend die Hand vors Gesicht, um nicht auf den letzten Metern zu ersticken. Das klaffende Loch in der Seite des Wagens war die Rettung. Er ignorierte die toten Körper um sich herum und humpelte weiter. Fast hatte er seinen Ausgang erreicht, als plötzlich der Boden unter ihm nachgab. Mit einem ohrenbetäubenden, metallenen Ächzen brach die brückenartige Schienenkonstruktion unter der Einwirkung des Aufpralls zusammen und riss die aufgelaufenen Wagons mit sich in die Tiefe. Derek wurde herumgeschleudert, stieß sich mit den Füßen an der gegenüberliegenden Plastikscheibe ab und schaffte es gerade so, sich aus dem fallenden Wagen zu katapultieren. Der Horizont kippte und dann hüllte ihn die stickige Nacht ein, als er ungebremst dem entfernten, unsichtbaren Boden entgegenfiel. Dicke Stahlträger und Trümmerstücke rauschten an ihm vorbei, während um ihn herum die glänzenden Fassaden vorüberzogen. Für einen Moment hatte er das Bedürfnis, die Augen zu schließen und auf den Aufprall zu warten, aber dann besann er sich auf das Training, dass ihm einst den prestigeträchtigen Job in Itallicas Firmenzentrale in Boston eingebracht hatte. Seine Sicht rauschte, aber der plötzliche Luftzug ließ ihn klar denken. Derek zählte die Autobahnbrücken, die er nacheinander passierte. Dann kamen die Dächer der Unterstadt in Sicht, ein Gewirr aus miteinander verwachsenen Häusern, Hinterhöfen, Dachterrassen und Sonnendächern. Er aktivierte das elektronische Landesystem, das man einst in seinen Körper implantiert hatte und kam auf einem elektromagnetischen Luftkissen zum Stehen, das ihn weniger Meter über einem flachen Hausdach schweben ließ. Der plötzliche Druck schlug ihm wie ein tonnenschweres Gewicht auf den Brustkorb, aber seine kybernetischen Verstärkungen hielten stand. Derek schrie schmerzerfüllt auf und verkrampfte seine Hand instinktiv in den Stoff seines Hemdes. Dann rutschte er unkontrolliert zur Seite, taumelte vom Dach und raste auf den darunterliegenden Asphalt zu. Das System war zwar für genau solche Notlagen entwickelt worden, aber Derek ahnte, dass sowohl seine Geschwindigkeit, als auch die Fallhöhe viel zuviel waren, um ihn sicher landen zu lassen. Er rollte sich zusammen und ließ sich in die aufgespannte Stoffbahn eines Sonnensegels fallen, das seinen Sturz schließlich abbremste. Einen Moment blieb er liegen, dann kletterte er mit durchgeschüttelten Knochen die letzten Meter auf die Straße hinunter, wo er erschöpft zusammenbrach. Über ihm glänzten die stromlinienförmigen Lichter der Wolkenkratzer und dazwischen ragte eine gewaltige schwarze Rauchsäule in den Himmel, wo einmal die Bahnstrecke gewesen war. Um ihm herum lagen Trümmer. Sie hatten sich in die Straße gebohrt oder Hausdächer durchschlagen. Ein paar Menschen irrten blutend herum, aber all das erreichte ihn nur gedämpft und viel leiser als es eigentlich war. Wahrscheinlich war das der Schock, oder die Kontrollmodule in seinem Innenohr hatten irgendwas abgekriegt. Er hatte zwar nur wenige cyberisierte Teile, aber die hatten ihm wohl gerade das Leben gerettet, auch wenn sie nun dabei waren, den Geist aufzugeben. Eine gefühlte Ewigkeit verging, vielleicht waren es auch nur Sekunden, oder er verlor kurz das Bewusstsein. Inmitten all des Staubs der zusammenstürzenden Brücke und seinem angeschlagenen Schädel konnte er es nicht sagen. Derek stütze sich auf den Ellbogen ab und kam schnaufend auf die Beine. Fast kippte er sofort wieder um, schaffte es aber, sich an einer Hauswand festzuhalten. Dann wurde alles langsam klarer. Er fühlte sich seltsam. Elektrisiert vom Adrenalin und betäubt durch den Schock. Gleichzeitig konnte er förmlich spüren, wie die Nanobots in seinem Blutkreislauf die Arbeit aufnahmen, um ihn wieder zusammenzuflicken. Das war nicht das erste Mal, das sowas passierte, aber er war immerwieder aufs Neue fasziniert. Zumindest hatten sich all die Investitionen in seine Augmentation gelohnt, dafür musste er wohl dankbar sein. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 30.07.2016, 15:11 Teil 4 von meiner Story. Spoiler (Öffnen) Im Augenwinkel bemerkte er zwei Männer, die in Tarnkleidung und mit Maschinenpistolen bewaffnet an ihm vorbeigingen. Sie trugen rote Armbänder mit einem schlecht aufgemalten Logo darauf, das er aus den Nachrichten kannte. "Scheiße", sagte der Eine mit amerikanischem Akzent und schaute nach oben. "So war das nicht geplant." Der andere nickte. Er sah asiatisch aus und kam vermutlich von hier. "Der Zug sollte doch leer sein." Er ließ den Blick über die Trümmerlandschaft schweifen, die die Unterstadt noch schlimmer aussehen ließ, als sie ohnehin schon war. "Daau reißt uns den Kopf ab, wenn sie das erfährt." Sie gingen an Derek vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Trotz des Sturzes war Derek plötzlich wie elektrisiert. Jetzt erwachte der Ex-Bulle in ihm. "Hey, ihr da!", rief er und stapfte auf die beiden Terroristen zu. Sie mussten sich hier unten sehr sicher fühlen, denn sie machten keine Anstalten, ihre Waffen oder das offensichtliche SEFP-Logo zu verstecken. Sie waren keine Amateure, das sah man gleich, aber sie hatten keine Ahnung, mit wem sie sich gerade angelegt hatten. Einer von den beiden drehte sich fragend um. "Was willst du, Alter?", fragte er desinteressiert. "Ihr beiden Idioten hättet mich gerade fast in die Luft gejagt!", platze es aus Derek heraus, als er den ersten von ihnen am Kragen packte. Er riss sich los und sah ihn verdutzt an. "Was zum Geier faselst du da?", fragte er. Derek wollte Antworten, doch dazu kam es nicht mehr. Plötzlich flammten über ihren Köpfen Scheinwerfer auf. Ein schlanker Kampfhubschrauber verließ den Tarnmodus und das Rotorengeräusch hallte tausendfach von den Wänden wieder, drang in die verschlungenen Gassen ein und setzte sich in ihren Ohren fest. Das grelle Licht durchflutete die Unterstadt, als würde es aus einem gebrochenen Damm quellen. Rufe waren zu hören, dann die schweren Schritte von Kampfstiefeln und das Klicken von automatischen Waffen, die durchgeladen wurden. Derek hielt sich die Hand vor die Augen und versuchte sich an die unvermittelte Helligkeit zu gewöhnen. Durch die Strahlen hindurch, die wie blitzende Messer in die ewige Dunkelheit des Slums eindrangen, erkannte er ein berüchtigtes Firmenlogo auf dem Boden des Hubschraubers, das sich stolz und leuchtend präsentierte, als wollte es allen zeigen, was die Stunde geschlagen hatte. "Verdammte Lockhart-Pisser", knurrte Derek und senkte den Blick. Einer der beiden Terroristen legte ihm erschreckt und fordernd die Hand auf die Schulter. "Was geht hier vor?", rief er durch das Dröhnen der Motoren hindurch. Derek verlor keine Zeit. Auch wenn die beiden Männer neben ihm keine Ahnung hatten, wusste er ganz genau, was vor sich ging. "In Deckung!", schrie er aus einem Reflex heraus und drängte die beiden mit seinem gesamten Körpergewicht in eine Gasse. Nur Sekunden später eröffnete der Hubschrauber das Feuer auf den Platz. Die großkalibrigen Patronen durchsiebten Wellblechdächer und brüchige Mauern, rissen tiefe Wunden in den bröckelnden Asphalt und mähten alles und jeden nieder, der nicht schnell genug aus der Schusslinie kam. Derek spähte aus der Gasse. Als das Inferno verstummte, seilten sich die Soldaten der Sicherheitsfirma ab und fluteten den Platz. Ein schwerer Panzerwagen bog rumpelnd um die Ecke und mischte sein Blaulicht in die weißen Lichtkaskaden des Hubschraubers und der Suchscheinwerfer. Für einen Moment evaluierte Derek den Gedanken, die beiden Typen, denen er gerade das Leben gerettet hatte, einfach zurückzulassen. Aber Terrorist hin oder her, er konnte nicht einfach dabei zusehen wie sie draufgehen würden. Entweder war er zu weich oder schon lange so abgestumpft, dass es keinen Unterschied mehr machte. Oder er war in dieser Stadt einfach verrückt geworden. Dazu drängte sich ihm noch ein weiterer Gedanke auf. Nämlich der, dass er sich hier unten nicht auskannte und die Soldaten von Lockhart keinen Unterschied zwischen ihm, den Terroristen und der Zivilbevölkerung machen würden. Laut denen waren sie wahrscheinlich alle feindliche Kombattanten, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren und daher als Bedrohung einzustufen waren. Kurz gesagt, sie waren soeben alle Vogelfrei geworden. Derek brauchte die Hilfe der Beiden, um hier wieder heil rauszukommen. Die beiden Terroristen starrten währenddessen wie Salzsäulen auf das Geschehen. Offensichtlich hatten sie so etwas noch nie erlebt. Das hier war die Unterstadt, die niedrigste, älteste Ebene von Central Pacifica; natürlich waren hier Razzien an der Tagesordnung, aber das hier hatte nichts mit den kleinen Operationen gegen die Banden und Chem-Dealer zutun, das hier war Krieg. Und so martialisch sich die Beiden auch präsentierten, vom Krieg der Megastädte, dem urbanen Häuserkampf der Gangs und Sicherheitsfirmen, hatten sie wahrscheinlich keine Ahnung. Der Amerikaner war sicher am Golf und in Alaska gewesen, oder hatte als Söldner für Nightwatch in Osteuropa gekämpft, aber das waren riesige Schlachtfelder mit offenem Gelände gewesen, während es hier nur die Enge der Straßen gab. So oder so, Derek wusste was zutun war. "Wir müssen verschwinden", sagte Derek und trieb die beiden durch die Gasse, weg von den Scheinwerfern. Nur langsam erwachten sie aus ihrer Starre. "Was geht hier eigentlich vor?", wiederholte der Amerikaner stoisch seine Frage, als wäre er in so einer Art Endlosschleife gefangen. "Sie haben Lockhart beauftragt euch zu erledigen", gab Derek teilnahmslos zurück. "Und so wie ich die kenne, erledigen sie das ganze Viertel gleich mit, egal wer oder was sich darin befindet. Ihr sagtet, ihr wusstet nicht, dass das die Regionalbahn war? Wahrscheinlich haben sie euch in die Falle gelockt." Derek erntete einen misstrauischen Blick. "Falle?", fragte er. "Lasst mich raten", sagte Derek, "irgendjemand hat euch einen Tipp gegeben?" Die beiden Kämpfer sahen ihn verdutzt an. "Naja... schon...", gab der Einheimische zögerlich zu. "Aber woher weißt du das alles?" "Sie haben eine Ausrede gebraucht, um den ganzen Distrikt plattzumachen, und ihr habt sie ihnen geliefert. Das ist, wie sie arbeiten. Keine Rücksicht auf Verluste, und wenn doch jemand draufgeht, für den sich irgendjemand interessiert, dann kann man es immernoch damit rechtfertigen. "Bist du ein Bulle, oder sowas?" - "Ex-Bulle", antwortete Derek, "aber jetzt gerade stehen wir alle auf der Abschussliste." "Verdammt nochmal", bemerkte der andere. Derek sah ihn genervt an. "Guckt ihr Vögel denn keine Nachrichten?", fragte er. "Ihr seid Kirschner einmal zu oft auf die Füße getreten mit euren Aktionen. Ich hab heute Morgen von eurem kleinen Anschlag in Downtown gehört. Eine Explosion fünf Blocks von ihrer Firmenzentrale entfernt, da hatten sie wohl die Nase voll. Der Konzernrat hat sich zusammengesetzt und euer Ableben beschlossen. Und jetzt ratet mal, wer den Auftrag bekommen hat? Mr. Samuel Lockhart von Lockhart Security. Und damit sind sie autorisiert, in der gesamten Stadt zu operieren. Scheiße, die haben sogar Steiner mit ins Boot geholt. Keiner kommt hier lebend raus, das kann ich euch sagen. Ihr habt jetzt eine verdammte Armee auf den Fersen, die keinerlei Kontrolle mehr unterliegt." "Was soll das denn heißen? Scheiße!", schrie der Amerikaner panisch. "Das heißt", grinste Derek bitter, "dass Kirschner Industries die Hunde des Krieges von der Kette gelassen hat. Und Lockhart ist gut. Gebt ihm 24 Stunden und er hat Central Pacifica in seinen eigenen privaten Polizeistaat verwandelt. Da kann selbst seine Konkurrenz nichts mehr machen. Einfach weg-lobbyiert. Darin war Lockhart schon immer gut." Derek schnaubte verächtlich. "Und ich wollte mal bei denen arbeiten." "Na schön, und was machen wir jetzt?", fragten die Beiden. "Was heißt hier wir?", konterte Derek. "Nun, erstmal hast du uns das Leben gerettet und zweitens sagst du ja selber, dass wir hier alle im selben Boot sitzen. Also was machen wir jetzt?" "Nagut. Das hier ist eine Lehrbuch-Operation, kenn ich aus meiner Firma, allerdings ein paar Nummern kleiner. Zuerst säubern sie das Gebiet um die Explosion herum, dann schwärmen sie aus und besetzen das ganze Viertel. Wir müssen hier raus und zwar schnell. Also, wohin können wir gehen?" Die beiden wechselten einen fragenden Blick und dann sagte der Einheimische: "Na schön, wir bringen dich zum Boss, da ist es sicher." Die drei rannten los und tauchten in den engen Gassen unter. Derekt hatte den richtigen Riecher gehabt, denn seine Begleiter kannten sich hier gut genug aus, um mit Leichtigkeit alle Patrouillen zu umgehen. Sie mussten sich trotzdem beeilen, denn bald würde es hier vor Soldaten nur so wimmeln. Zuerst die Hubschrauber, dann die Truppentransporter und dann die Mechs und Exoskelette. Es würde ihn nicht wundern, wenn Lockhart gleich mit ein paar Panzern anrücken würde, nur um sicherzugehen. Die drei warteten einen Moment, um eine Patrouille passieren zu lassen, und dann huschten sie über die Straße, weiter in die Dunkelheit hinein. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 06.08.2016, 11:58 Teil 5 von meiner Story. Spoiler (Öffnen) Die Welt, in die sie jetzt eintauchten, war ganz anders als das geordnete Chaos in der Oberstadt. Turbulenter, verwinkelter und gefährlicher. Das hier war der Sprawl. Ein pulsierender Organismus aus Mensch und Maschine, wo Modernität und Althergebrachtes miteinander verschmolzen, sich wie Unkraut ausbreiteten und ein rostiges, biotechnologisches Ökosystem aus verrottetem Gewebe und mutierten Zellen geschaffen hatten. Das hier war der Ort, an dem Deus Ex Machina zu Diaboli Ex Machina geworden war. Die Häuser standen dicht beieinander und dazwischen ragten überall die riesigen Betonsäulen und Stahlträger auf, die weiter oben in den Fundamenten der Hochhäuser mündeten, die den Himmel verdunkelten und die Unterstadt in ewige Nacht tauchten. Fauliges Wasser sickerte leise durch offene Kanäle und improvisierte Hütten lehnten sich wie Parasiten an die Wände der größeren Gebäude. Alles hier wirkte wie die urbanisierte Kanalisation, eine riesige unterirdische Stadt, die den dekadenten Größenwahn der Oberstadt auf ihren Schultern trug, darunter zerquetscht wurde und im Schatten wuchs wie ein scheues Gewächs, dessen Schönheit erst auf den zweiten Blick zu sehen war, nachdem sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Fasziniert nahm Derek diesen neuen Blickwinkel in sich auf, während die drei Männer im Schatten der Vordächer durch die Nebenstraßen schlichen. Hin und wieder mussten sie die Route wechseln, wenn irgendwo eine Vorhut der Lockhart-Soldaten auftauchte, aber sie kamen schnell genug voran, um die imminente Gefahrenzone bald hinter sich gelassen zu haben. Zumindest vorerst sollten sie sich frei bewegen können, aber Derek wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sich diese Slums in ein brennendes Inferno verwandeln würden. Seine Begleiter waren inzwischen zu seinen Fremdenführern geworden. Während Derek in dem unterirdischen Straßenlabyrinth schon nach kurzer Zeit jegliche Orientierung verloren hatte, schienen sich die Beiden trotz der ständigen Umwege und Richtungswechsel gut zurechtzufinden. Sie kannten sich aus und momentan war das Dereks beste Chance. Zwischendurch entstanden sogar kurze Unterhaltungen, die allerdings immerwieder vom gegenseitigen Misstrauen und dem Horchen nach potentiellen Gefahren unterbrochen wurden. Der Einheimische hieß Jasille und glaubte wohl wirklich an das was sie taten. Einer von denen, die Che Guevara zitierten und von der Revolution träumten. Der andere nannte sich Sullivan, ein typischer Ami-Söldner. Laut, überheblich, aggressiv, aber gut trainiert. Fast fand Derek sie sympathisch genug, um zu vergessen, dass sie gerade einen Anschlag auf einen vollbesetzten Zug verübt hatten, aber eigentlich spielte das auch keine Rolle. Jetzt ging es erstmal darum, die Razzia ein paar durchgedrehter Paramilitärs zu überleben. Moralische Bedenken konnte man danach immernoch haben. Ein Luxus, der Derek in diesem Moment nicht leisten konnte. Immerwieder fielen ihm Gebäude auf, die noch aus der Zeit vor den Megastädten stammen mussten und wie Relikte einer vergangenen Epoche zwischen den Wohneinheiten und Kapselhotels hervorstachen, wie Barockmöbel in einem futuristischen Loft aus Glas und Kunststoff. Ohne Zweifel schön und doch aus der Zeit gefallen. Antiquitäten, die niemand mehr zu würdigen wusste. Immerwieder passierten sie schmale Flussläufe, auf denen Gondeln schipperten und Waren transportierten, die niemals durch die Gassen gepasst hätten. Wenn es hier eines zur Genüge gab, dann war es Wasser. Zu seinen Füßen floss es über die Straßen und von oben tropfte es von den stählernen Platten, die den künstlichen Himmel dieser versteckten Biosphäre bildeten. Der Geruch von Moder und verrottetem Holz lag in der schwülen Luft, gepaart mit dem Duft von Maschinenöl und billigen Nudeln. Wo oben die Zikaden den Verkehr übertönten, schwirrten hier unten die Mücken umher, auf der Suche nach Nahrung und angelockt vom Blut und brackigen Wasser. Nach allem was man hörte, breitete sich die Malaria in der feuchten Enge aus wie ein Datenstrom in den endlosen Weiten der Netzwerke. Obwohl es hier wenige Autos gab und das Meiste mit Fahrrädern, Rikschas und kleinen Nussschalen transportiert wurde, war es trotzdem kaum leiser als an der Oberfläche. Ein Gewirr von tausenden Stimmen halte von den abgeschlossenen Decken wieder und bildete ein obskures Summen aus unzähligen Sprachen, das stetig und nicht enden wollend im Hintergrund lief, wie ein Fernseher auf halber Lautstärke. Nach einer Weile wurden die Wege breiter, die Gebäude ein Stück höher und die Leuchtreklame auf den Dächern aufdringlicher. Ein endloses Bombardement von Neonfarben ging auf Derek hernieder, als sie den Rotlichtdistrikt von Angeles durchquerten, ein Ort irgendwo zwischen Sündenpfuhl, Schwarzmarkt und gesellschaftlichem Treffpunkt. Bald waren die Straßen in pinkes Leuchten getaucht und von einer ungreifbaren Aura der niedergehenden Dekadenz durchzogen. Zwischen den Häusern baumelten Lichterketten und chinesische Lampions, während die Fassaden mit unzähligen unmoralischen Angeboten, anzüglichen Blicken und nackter Haut gepflastert waren, die ohne Unterlass auf sie einprasselten, den Atem raubten und nicht wieder hergaben. Links und rechts stand alles Mögliche und Unmögliche zum Verkauf. Marktschreier versuchten ihre geklauten Waren an den Mann zu bringen und dazwischen boten sich die leichten Mädchen an. Hier gab es alles, was sich der menschliche Verstand in all seiner pervertierten Degeneration ausdenken konnte; und Manches, das nicht von Menschen erdacht worden war. Roboter und Androiden, leere Puppen und künstliche Intelligenzen, Mädchen mit implantierten Katzenohren und Wesen, deren implantierten Gene und künstlichen Augmentierungen ineinander flossen, wie das ölige Wasser in den Gräben. Fast jeder hier hatte irgendwelche Schwarzmarktprothesen, die ihren Weg über unzählige illegale Kanäle nach hier unten gefunden hatten, vom Laster gefallen waren, oder einfach ihren ermordeten Vorbesitzern rausgerissen worden waren. Manches war gute Arbeit, anderes einfach dilettantisch implantiert oder an monströse, stählerne Gliedmaße angeschraubt, die weder Schönheit noch Subtilität besaßen. Selbst die Augmente waren hier Teil der pervertierten Unterhaltungsmaschinerie, die von Sex, Schnaps und blinkenden Lichtshows lebte. Die Luft roch nach Chems und Parfüm, nach Pheromonen und Alkohol. Alles hier war ausschweifend, überzogen und bunt. Er kam nicht umhin, sich gleichzeitig abgestoßen und angezogen zu fühlen. Dereks Begleiter zeigten einmal mehr, dass sie keine Amateure waren. Sie hatten ihre Waffen und Erkennungszeichen vor ein paar Blocks in einem toten Briefkasten deponiert, sodass sie jetzt problemlos in der Masse der vorbeiziehenden Laufkundschaft untertauchen konnten. Drei abgerissen Gestalten mehr oder weniger fielen in dem gallertartig fließenden Meer des menschlichen Abschaums gar nicht auf. Sie konnten sich jetzt schneller bewegen und kamen gut voran, auch wenn Derek zugeben musste, das ein oder andere Mal von der fragwürdigen Umgebung abgelenkt zu sein. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 07.08.2016, 19:46 Teil 6 von meiner Story. Spoiler (Öffnen) Nach einer Weile blieben die bunten Lichter als entferntes Glimmen hinter ihnen zurück und die Drei betraten einen Stadtteil, der wesentlich älter war als alle anderen, durch die sie bisher gekommen waren. Alles hier sah noch genauso aus, wie es vor hundert Jahren einmal gewesen sein musste. An den Rändern eines schmalen, relativ sauberen Kanals standen traditionelle Bambushütten in einer Reihe aufgestellt, die nur von schummerigen Papierlaternen erhellt wurden. Die Stimmung war gespenstisch, als wären sie durch die Ebenen der Stadt auch in der Zeit zurückgereist, um in einer gänzlich anderen Epoche anzukommen. Hundert Meter weiter mündete der Kanal dann in den Ozean. Das erste Mal seit seiner Ankunft in dieser Stadt stand Derek vor dem Meer. Die Wellen brandeten wuchtig an die Betonmauern und warfen schäumende Gischt auf die Straße und gegen die Wände. Ein paar verkümmerte Pflanzen säumten das, was vor langer Zeit einmal eine Uferpromenade gewesen sein musste. Der Anblick war dennoch alles andere als Erhaben, denn anstatt auf einen weit entfernten, blau schimmernden Horizont, blickte Derek auf schwarzes Wasser, rostige Stahlträger und ein riesiges Lagerhaus, das am anderen Ufer der mehrere Meilen breiten Lagune lauerte, wie ein erodiertes Gebirge, das jederzeit in sich zusammenfallen konnte. In der Mitte der Bucht jedoch, errege eine kleine Insel mit einem halb überwucherten Gebäude seine Aufmerksamkeit. Auf einer kleinen Sandbank, umsäumt von Büschen und den Resten größerer Vegetation, stand ein uralter steinerner Tempel, wie man ihn aus Angkor und ähnlichen historischen Stätten kannte. Die ehrwürdigen Mauern waren moosbedeckt und spiegelten sich im öligen Wasser. Ein breiter Lichtstrahl fiel von der Betondecke nach unten und ließ das monumentale Bauwerk aufleuchten, als hätten die alten Götter selbst es unter ihren Schutz gestellt. Derek fühlte sich bei dem Anblick fast gerührt, wäre da nicht die vor sich hinrostende Umgebung gewesen. Es war wie ein Relikt im Bauch der Bestie. Ein Hauch von Spiritualität an einem Ort, an dem die Geister selbst aus den Maschinen geflohen waren, die sich jetzt tot und vegetierend dem ewigen Stillstand hingaben. "Wir sind da", sagte Jasille, schritt über einen morschen Holzsteg und stieg in ein schwankendes Boot, das der einzige Weg hinüber zu sein schien. Links und rechts bemerkte Derek unzählige Wachposten, die ihn argwöhnisch beäugten. Er tat es seinem Führer gleich und zu dritt fuhren sie auf den alten Tempel zu. Auf der anderen Seite wurde das Boot von einem monumentalen Tor verschluckt, das wie ein schwarzes Loch gähnend aus dem Wasser ragte und mit diversen Figuren verziert war, die langsam aber sicher dem Zahn der Zeit zum Opfer fielen. Im Inneren verließen sie das Boot über eine breite Treppe und dann fand sich Derek in einer großen, mit Säulen gesäumten Halle wieder. Am Kopfende hing die riesige, rote Flagge der selbsternannten Widerstandskämpfer und ringsumher waren überall Versorgungskisten, Gerätschaften und Waffen verteilt. Männer in Kampfanzügen liefen eilig herum, packten Vorräte ein und nagelten Kisten zu. Alles deutete darauf hin, dass sie vorhatten, so schnell wie möglich ihre Zelte abzubrechen. Derek konnte es ihnen nicht verübeln. Sie mochten radikal sein, aber offensichtlich waren sie nicht verrückt. Flucht war hier tatsächlich die beste Option. Er wandte seinen Blick ab und ging auf das Ende der Halle zu. Das Gemäuer musste Jahrhunderte alt sein. An den Wänden breitete sich das Moos aus und die Feuchtigkeit auf den Steinen glänzte schleimig im Licht der provisorisch aufgestellten Halogenscheinwerfer. Ranken wuchsen von der tropfenden Decke herab und wanden sich wie giftige Schlangen um die behauenen Steinsäulen. Die Luft stand und die schwüle Hitze roch nach Moder und sich zersetzenden Pflanzen. Hier, an diesem entrückten Ort, wurde der sprichwörtliche Dschungel plötzlich real, wie er vor langer Zeit einmal gewesen war. Durch einen großen Torbogen zu seiner Rechten konnte Derek einen kurzen Blick in eine weitere Halle werfen, die anscheinend als Hangar genutzt wurde. Geräte blinkten in der Dunkelheit und dazwischen standen ein paar Geländewagen und ein ausrangierter, skorpionförmiger Panzer, der noch aus irgendeinem längst ausgefochtenen Krieg stammen musste. Vielleicht Pakistan, vielleicht Korea, Derek konnte es nicht sagen. Die alte Tarnfarbe war so oft abgeblättert und übermalt worden, dass der eigentliche Verwendungszweck nicht mehr zu erkennen war. Vor der Flagge am Ende des Raumes sah Derek eine Frau, die kaum ins Bild zu passen schien. Sie hatte mittellange, schwarze Haare und trug etwas, das irgendeine traditionelle Kleidung sein musste, für Derek aber nur aussah, wie ein Pyjama mit Blumenmuster. Als er näher kam, fielen ihm ihre fehlenden Interface-Elemente und Anschlüsse auf. Er hatte selten jemanden gesehen, der so wenig cyberisiert war wie diese Frau. Vielleicht hatte sie überhaupt keine Augmentierungen, was in der heutigen Zeit und in dieser Stadt mehr als ungewöhnlich war. Selbst die Ärmsten konnten sich noch ein paar Schwarzmarktteile oder zumindest die notwendigsten internen Kommunikationschips leisten, aber sie schien nichts dergleichen zu haben. Sie war 100% natürlich. Derek staunte nicht schlecht. Er glaubte nicht, jemals so jemanden gesehen zu haben. Er war sich bisher nichtmal sicher gewesen, dass so jemand überhaupt noch existierte. Es war eine weitere Überraschung an diesem Tag der unvorhergesehenen Ereignisse. Die Frau drehte sich um, breitete die Arme aus und vollführte eine demonstrative, fast andächtige Verbeugung. "Willkommen bei der sozialistischen Einheitsfront in Pacifica", proklamierte sie feierlich. "Ich bin Daau, die Anführerin unserer Truppen in diesem Sektor." "Ja, und ich bin Ho Chi Minh", knurrte Derek ungehalten. Er setzte zu einer zynischen Bemerkung an, aber Daau unterbrach ihn, bevor seine Tirade überhaupt beginnen konnte. "Sehr witzig", entgegnete sie trocken. "Wir wissen wer Sie sind, Mr. Fontaine. Unsere Techniker haben bereits die Kamerabilder von der Zugexplosion ausgewertet und einen Background-Check durchgeführt. Sie sind ein Kampfhund im Dienste der Kapitalisten. Unter anderen Umständen hätten wir Sie bereits erschossen." Derek ahnte, dass sie das vollkommen ernst meinte, aber die Tatsache, dass er noch nicht tot war, sprach wahrscheinlich für ihn. Das war die Gelegenheit, ihnen zuvorzukommen und den Deal seines Lebens auszuhandeln. Sie brauchten ihn, das war mehr als deutlich, also schob er seine Zweifel beiseite und gab ihnen was sie wollten. Immerhin waren sie seine beste Chance, hier wieder lebend rauszukommen. "Dann wissen Sie ja auch, dass ich nicht hier bin, um Sie zu verhaften", antwortete er. "Nein", grinste Daau und ließ den Blick über ihre Soldaten schweifen. "Das würden Sie auch kaum schaffen. Aber sparen wir uns doch diese Spielchen und kommen direkt zur Sache. Wie Sie vielleicht bemerkt haben, sind wir ein wenig in Eile." Sie machte eine Pause und richtete ihre volle Aufmerksamkeit auf Derek. "Also, wie es aussieht, haben wir ein gemeinsames Problem. Und ich denke, Sie könnten uns bei der Lösung behilflich sein." "Bringen Sie mich lebend zurück in die Oberstadt", forderte Derek schnörkellos. "Alles zu seiner Zeit", antwortete sie. "Also gut", sagte er, "Lockhart hat Sie in die Falle gelockt, nicht wahr?" "Wir wurden verraten", bestätigte Daau. "Ha, wusst' ichs doch", schnaubte Derek. "Samuel Lockhart ändert sich eben nie." Daau nahm seinen Einwand zur Kenntnis und fuhr fort: "Wir wissen auch vom wem. Einer von meinen Leuten ist seit heute Morgen untergetaucht, das kann kein Zufall sein. Vor einigen Tagen kam er mit diesem todsicheren Tipp an, über einen Güterzug von Kirschner Industries, der kaum bewacht ist und ein leichtes Ziel für einen Anschlag abgeben würde." Sie machte eine Pause und sah ihn ernst an. Fast glaubte Derek, so etwas wie Reue in ihren Augen zu erkennen. "Tja, den Rest kennen Sie ja. Wir haben den falschen Zug erwischt." Das Bedauern verschwand, sie sah sich um und schüttelte es ab. Dann flammte Wut in ihrem Blick auf. "Wahrscheinlich hat sich dieser elende Defätist schon lange mit seinem dreckigen Bestechungsgeld abgesetzt und wartet darauf, dass die Sicherheitsfirmen uns alle umbringen. Wenn der glaubt, er würde uns so einfach loswerden, dann ist das ein tödlicher Irrtum." Sie seufzte und ordnete ihre Gedanken, bevor sie wieder auf das eigentliche Thema zurückkam. "Aber bevor wir uns um den kümmern, müssen wir uns zuerst aus der Gegend zurückziehen." "Warum nicht beides auf einmal?", schlug Derek vor. Daau sah ihn fragend an. "Ich könnte Ihnen helfen, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Und dafür bringen Sie mich aus der Kampfzone, wenn wir damit fertig sind. Was halten Sie davon?" Jetzt hatte er ihr Interesse geweckt, und damit waren seine Chancen gerade erheblich gestiegen. Daau wirkte belustigt, aber die Möglichkeit einer einfachen Lösung konnte sie sich unmöglich entgehen lassen. Sie war vorsichtig, aber ihre Erwartungshaltung war nicht zu übersehen. Um das zu bemerken, brauchte Derek nichtmal eine Sozialoptimierung. Er hatte sie genau da wo er sie haben wollte; und sie ihn vermutlich auch, wenn er so darüber nachdachte. "Also los, Mr. Fontaine, erleuchten Sie mich", gab sie zurück. Das war fast zu einfach. Derek nahm die Hände aus den Manteltaschen und begann, den Plan zu erläutern, den er sich auf dem Weg in diese antiken Katakomben zurechtgelegt hatte. "Ich werde ein paar alte Gefallen einfordern, von Behörden, Sicherheitsdiensten, Leuten mit denen ich über die Jahre zusammengearbeitet habe. Ihre Leute können vielleicht einen simplen Background-Check durchführen, aber ich wette, Sie haben nicht meine Kontakte zum Security-Sektor. Ich spüre Ihren Verräter auf, Sie erledigen ihn und dann werfen Sie ihn Lockhart zum Fraß vor. Und sobald die Geier über der Beute kreisen, haben Sie genug Zeit, um sich unbemerkt abzusetzen und mich aus der Unterstadt zu bringen." Jetzt verschwand der Ex-Bulle und der Unternehmer in ihm trat in den Vordergrund. Der Kampfhund, wie sie es genannt hatte, kam zum Vorschein. Derek funkelte sie gerissen an. "Also, was sagen Sie dazu? Deal?" Er streckte die Hand aus, um ihr so wenig Bedenkzeit wie möglich zu lassen, doch Daau spielte nur mit ihrem Hemdsaum, während sie nachdenkend an die überwachsene Decke starrte. Sie wirkte abwesen, doch das konnte genausogut Taktik sein. Nach einigen, quälend langen Sekunden senkte sich ihr Blick und fokussierte erneut Derek. Sie machte einen Schritt und ergriff seine Hand. "Deal", grinste sie und hielt Derek fest. "Unter einer Bedingung." Derek sah sie verdutzt an, doch zurück konnte er jetzt nicht mehr. "Und die wäre?", fragte er zögernd. "Sie bringen ihn um. Ich brauche meine Leute hier." Derek hob eine Augenbraue. Er wusste genau, worauf das hier hinauslief. "Hoffen Sie, mich loszuwerden?", gab er zurück. Sie lachte. "Nun, lassen Sie mich es so sagen. Ich stehe zu meinem Wort, aber sollte ihr großartiger Plan schiefgehen und Sie dabei umkommen..." Sie zuckte die Schultern. "Tja, ein Problem weniger für mich. Und jemanden durch die halbe Stadt zu schleusen, während wir von aller Welt gesucht werden, ist schließlich kein Kinderspiel, da müssen Sie schon was dafür tun." "Klingt eher so, als könnten Sie keine Zeugen gebrauchen. Niemanden, der diese Sache mit Ihrer Gruppe in Verbindung bringt, falls es schiefgeht. Klingt so, als wollten Sie untertauchen und überlassen die Drecksarbeit mir, in der Hoffnung, dass ich dabei draufgehe." Noch immer ließ sie eine Hand nicht los und sah ihm durch die Dunkelheit hindurch in die Augen, wie ein Dämon, der gerade dem tiefsten Schlund dieser diabolischen Stadt entstiegen war. "Sie wissen doch wie das läuft", war ihre einzige Antwort. Derek war klar, dass er nicht 'nein' sagen konnte. Er wurde entweder hier und jetzt erschossen, draußen von den Lockhart-Soldaten oder vielleicht später von irgendeinem entflohenen Ex-Terroristen. Da fiel die Wahl nicht schwer. Er hatte sich schon mit schlimmeren Gestalten angelegt, da würde er irgendsoeinen Kerl schon schaffen. Seine Entscheidung fiel also auf die Option 'vielleicht später sterben'. Das lief ja ohnehin meistens so. "Eine Sicherheit, dass Sie Ihr Wort halten, wäre nicht schlecht", sagte Derek schließlich. "Sie haben den Weg zu unserer Basis gesehen und ich lasse Sie wieder laufen. Reicht das nicht aus? So schnell können wir die Zelte nun auch nicht abbrechen. Geben Sie mir lieber eine Sicherheit, dass Sie mich nicht an Lockhart verkaufen." "Sie meinen bevor oder nachdem mich diese Irren erschossen haben?", konterte Derek. Daau seufzte. "Erledigen Sie das einfach für mich und kommen Sie danach zu diesen Koordinaten." Jetzt löste sich ihr Griff und sie zog ein PDA aus der Tasche, auf dem sie eilig eine Karte mit einem markierten Punkt aufrief. "Jasille wird Sie dort erwarten, und nur er. Dann bringt er Sie mit dem Boot in den nächsten Distrikt. Von da aus sollten Sie alleine klarkommen. Mehr kann ich Ihnen nicht anbieten. Aber ohne mich kommen Sie nichtmal soweit." "Na schön", sagte Derek misstrauisch. "Aber ich hab schon so einiges überlebt. Verarschen Sie mich besser nicht." - "Solange Sie mir nicht die Security auf den Hals hetzen haben wir keine Probleme", gab sie zurück. "Das hier ist ein Geschäft, da ist nie irgendwas hundertprozentig sicher. Und wir haben alle etwas zu verlieren. Also haben sie etwas Vertrauen." - "Wir werden sehen", gab er zurück, wohl wissend, dass sie trotz allem die Oberhand hatte. Dann schlugen sie erneut ein. Daau klopfte ihm auf die Schulter, ließ seine Hand los und ging ein paar Schritte an ihm vorbei, bevor sie in einer eleganten Drehung kehrtmachte und sich erneut an Derek wandte. "Willkommen beim Widerstand, Genosse", sagte sie mit ironischem Blitzen in den Augen und drückte ihm eine uralte Pistole in die Hand. Derek grinste spöttisch. "Hasta siempre, Comandante." Fast hätte er sich zum Salutieren hinreißen lassen, aber das wäre dann doch etwas zu dick aufgetragen gewesen. Zum Glück war Daau in der Dunkelheit verschwunden, bevor er sich noch dazu entscheiden konnte, mit Singen anzufangen. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 08.08.2016, 17:40 Teil 7 von meiner Story. Ist doch etwas länger geworden, als ich gedacht hatte. Spoiler (Öffnen) Derek drückte sich an die Mauer eines dreckigen Apartments, während sein Mantel langsam aber sicher die abblätternde Wandfarbe in sich aufnahm. Über ihm glänzten die entfernten Lichter der Oberstadt und zu seinen Füßen gähnte ein Abgrund, der drei Stockwerke nach unten führte, bis auf die überfüllten, düsteren Gassen der Unterstadt. Vor ein paar Stunden hatte er noch im Zug zur Arbeit gesessen. Jetzt befand er sich mitten in einem Kriegsgebiet. Nach ein paar Anrufen, Drohungen und dem Eintreiben alter Schulden hatte er tatsächlich den Aufenthaltsort des Verräters ermitteln können. Der Kerl war schlampig gewesen, geblendet vom Geld und getrieben von der Angst, von der einen oder anderen Seite doch noch auf der Flucht ermordet zu werden, was nicht ganz unberechtigt war, wie Derek zugeben musste. Das kleine Motelzimmer, vor dem Derek jetzt stand, war für eine Woche gemietet worden und laut dem Besitzer der Anlage, hatte die Zielperson das Zimmer seit heute Morgen nicht mehr verlassen. Jetzt war die Zeit, um zuzuschlagen und ihn zu erledigen bevor er das Weite suchen konnte. Derek sah sich noch einmal um und vergewisserte sich, dass die Luft rein war. Er stand auf einer porösen Betongalerie im zweiten Stock des Innenhofs der Motelanlage und wurde von unzähligen Türen und Fenstern beobachtet, die bis auf verschiedenartige Abnutzungserscheinungen alle gleich aussahen. Einzig der Verfall schaffte ein wenig Individualität. Ein Luftzug ließ ein paar Vorhänge wehen, eine Tür knarren und irgendwo etwas metallisches durch die Dunkelheit wirbeln, aber um ihn herum blieb alles ruhig. In den Zimmern rührte sich niemand. Wahrscheinlich war die Gegend hier einfach so heruntergekommen, dass es niemanden interessierte, was vor der eigenen Türe so vor sich ging. Im Großstadtdschungel, vor allem in der Unterstadt, war sich jeder selbst der Nächste. Derek kannte das schon. Es war symptomatisch, ein weiterer unwillkommener Auswuchs, ein weiterer sozialer Tumor im komplexen Gewebe des Sprawls, der gleichzeitig abstarb und doch immer größer wurde. Die Waffe lag schwer in seiner Hand, aber sein Unterbewusstsein erinnerte sich an das Gefühl. Es war, als wäre es gestern gewesen. Er hatte seit langer Zeit keine Waffe mehr in der Hand gehabt, aber sowas vergaß man wohl nie. Es war wie Fahrrad fahren. Weniger gefasste Menschen würde das wahrscheinlich erschrecken, aber Derek kam es sehr gelegen. Fast hatte er sogar das Gefühl, als sollte es so sein, als wäre er endlich wieder komplett. Es war an der Zeit, zu beweisen, dass der Kampfhund noch immer zubeißen konnte. Er hoffte nur, dass es auch wirklich so war, denn die Alternative kam ihm in jedweder Richtung vor allem alternativlos vor. Jetzt hieß es, die alten Fähigkeiten abzurufen. Er spähte durch das kleine Fenster neben der Tür. Drinnen war es dunkel, doch er glaubte schemenhafte Bewegungen erkennen zu können. Eine Klimaanlage summte monoton und irgendwo blinkte das Standby-LED eines Holoprojektors. Das Fenster war vollkommen verschmiert und viel mehr war nicht auszumachen. Ein Schatten bewegte sich durch den Raum, dann ging eine Tür auf und ein Lichtfetzen durchtrennte die Finsternis. Die Silhouette verschwand im angrenzenden Zimmer und dann wurde es wieder dunkel. Das war seine Chance. Er zog ein Brecheisen aus dem Mantel und machte sich so leise wie möglich an der Tür zu schaffen. Das Ding war ebenfalls antik. Keine Zahlenschlösser, kein Metall, einfach nur ein Holzrahmen und eine Spahnplatte mit einem Buntbartschloss. Nach ein paar Sekunden kapitulierte das Holz und die Wohnungstür sprang knackend auf. Derek huschte hinein und lehnte die Tür eilig an. Das Zimmer war winzig. Nichts weiter als ein Bett in der Mitte, eine offene Küche, ein Wandschrank und die Tür zum Bad, das sein Ziel soeben betreten hatte. Die Klimaanlage surrte lauthals vor sich hin, sodass Derek davon ausgehen konnte, dass sein Einbruch unbemerkt geblieben war. Er stellte das Brecheisen an der Tür ab und zückte erneut seine Pistole. Dann tastete er sich im Halbdunkel vor, hielt seine Waffe bereit und schob vorsichtig die angelehnte Badezimmertür ein Stück auf. Für eine Sekunde blendete ihn der austretende Lichtstrahl, dann flog die Tür mit einem Krachen auf und traf ihn am Kopf, sodass er taumelnd über das Bett stolperte und krachend in einer Zimmerecke, zwischen Bett und Nachttischschrank, aufkam. Derek stöhnte auf und versuchte sich zu sammeln. Die Waffe war irgendwo in der unbeleuchteten Ecke gelandet und nicht mehr zu sehen. Sein Mantel hatte sich um ein Bein gewickelt und die obersten Knöpfe seines Hemdes lagen hier auch irgendwo auf dem Boden verteilt. Über ihm stand eine hünenhafte Gestalt, die halb im Schatten des Raumes verborgen war. Alles was Derek klar erkennen konnte, war der sperrige kybernetische Arm, der krude an seiner linken Körperhälfte implantiert, oder besser gesagt, angeschraubt worden war. Es wirkte eher so, als hätte das ein Mechaniker gemacht, als ein Chirurg. "Wer hat dich geschickt?", knurrte der Mann, doch wartete die Antwort gar nicht erst ab. Der stählerne Arm packte Derek wie ein Schraubstock und hob ihn mit Leichtigkeit in die Höhe. Derek spürte, wie seine Luftröhre zusammengedrückt wurde. Er japste, rang nach Atem und hielt sich an dem metallenen Monstrum fest, ohne dass sich der übermenschliche Griff lockerte. Der Mann wuchtete ihn herum und schleuderte Derek wie einen leblosen Automaton gegen die gegenüberliegende Wand. Derek schrie auf und sackte zu Boden. Staub rieselte von der Decke und das spitze Ende eines herabfallenden Bilderrahmens traf ihn am Kopf. Die Netzhautimplantate zuckten gefährlich und seine Sicht glitt abermals für einige Sekunden in weißes Rauschen ab. Derek wollte sich aufrichten, doch da wurde er erneut hochgehoben. Der Mann knallte ihn mit voller Wucht gegen die offene Küchentheke und dann gegen den Türrahmen, wo Derek benommen liegen blieb. Blut rann ihm von der Stirn ins Auge und verklebte seine Haare. Sein Gegner kam näher und als Derek ächzend den Blick hob, konnte er, selbst durch das Halbdunkel hindurch, die Entschlossenheit in seinen Augen sehen. Er musste sich was einfallen lassen, sonst würde er als nächstes wahrscheinlich vom Dach fliegen. Der Mann stand jetzt genau vor ihm, doch Derek war noch nicht bereit den Löffel abzugeben. Nicht wegen sowas und ganz sicher nicht hier. Adrenalin rauschte durch seine Adern und unkontrolliert abgegebene Elektrizität aus seinen angeschlagenen Implantaten brachten die Computerchips in seinem Kopf zum Glühen. Seine Sinne schärften sich bis aufs Äußerste und Derek suchte fieberhaft nach einem Ausweg. Er konnte durch die Tür krabbeln, aber das würde ihm dem tödlichen Abgrund nur noch näher bringen, als er ohnehin schon war. Sein Gegner streckte den kybernetischen Arm nach ihm aus, dessen grobschlächtige Industrie-Hydraulik zischte und ratterte, als würde Derek jeden Moment von einem Panzer überrollt werden. Seine Hände tasteten suchend in der Dunkelheit und dann hatte er etwas Längliches zwischen den Fingern. Mit einem Aufbäumen riss Derek das Brecheisen vom Boden, duckte sich unter dem schwerfällig niedergehenden Cyber-Arm weg und schleuderte seinem Gegner das Werkzeug ins Gesicht. Der Mann heulte auf und seine menschliche Hand zuckte instinktiv an die Stelle, an der er getroffen wurde. Das war alles, was Derek brauchte. Reflexartig tauchte er hinterm Bett unter, ergriff seine fallengelassene Pistole und feuerte. Zwei Kugeln prallten klimpernd und funkenschlagend von den gepanzerten Implantaten seines Gegners ab, die dritte erwischte ihn am Hals und ließ den Hühnen tot zu Boden fallen. Derek rappelte sich auf und wischte sich das Blut mit dem zerzausten Bettlaken vom Gesicht. Er atmete durch und strich die verklebten Haare nach hinten. Dann hörte er auf einmal, wie sich hinter ihm die Tür öffnete. Derek fuhr herum, hob die Waffe und blickte über den Lauf in die vertrauten Gesichter von Sullivan und Jasille, die wie vom Donner gerührt im Türrahmen standen, Maschinenpistolen im Anschlag und Handgranaten im Gürtel. "Sollt ihr mich jetzt doch umlegen?", fragte Derek angespannt. "Waffe runter", schnauzte Sullivan. Derek funkelte ihn durch einen Schleier von Blut hindurch an und ging seine Optionen durch. Noch immer war ihm nicht ganz klar, worauf das jetzt hinauslaufen sollte. Er wartete ab und tat wie befohlen. Vorsichtig nahm Derek die Waffe runter, behielt sie aber in der Hand. Die Blicke der drei Männer trafen sich in der Dunkelheit. Derek beobachtete jede ihrer Bewegungen und die beiden Männer fixierten abwechselnd ihn und den jeweils anderen. Sie warfen sich verstohlene Blicke zu, ohne Derek aus den Augen zu lassen. Die Situation war so überspannt, wie Dereks durchgeschüttelte Implantat-Elektrik. Ein paar Sekunden herrschte kritische Stille im Raum, dann hoben die beiden unvermittelt die Waffen. Derek hatte nicht darauf gewartet, aber er war darauf vorbereitet. Noch bevor sie ihre Bewegung vollendet hatten, trat Derek mit voller Wucht gegen die aufgestoßene Tür und hechtete ins angrenzende Badezimmer. Die kaputte Tür knallte gegen den Rahmen und zwang die beiden zurückzuweichen. Im nächsten Moment durchsiebten hunderte MP-Patronen das ganze Zimmer. Nun war er sich ziemlich sicher, dass sie ihn umbringen wollten. Draußen wurde die Tür erneut aufgeschoben. Eine der Waffen klickte leergeschossen und kraftlos, dann knarrte ein Dielenbrett unter dem Gewicht eines Körpers. Derek entschied sich, das Risiko einzugehen. Er lehnte sich geduckt aus der Deckung, aktivierte den Restlichtverstärker und die Zielhilfe in seinen Augen und feuerte blitzartig auf die beiden im Zimmer stehenden Männer. Eine Kugel traf Sullivan in die Brust, eine weitere schlug direkt unter seinem Auge ein. Mehrere Schüsse erhellten das Zimmer, als er im Todeskampf abdrückte, dabei aber nur die Wand perforierte. Hinter ihm sackte auch Jasille zusammen, nachdem zwei Kugeln den fallenden Körper von Sullivan durchschlagen hatten und ihn in den Oberkörper trafen. Die beiden schlugen fast zeitgleich auf dem Boden auf. Das Bild rauschte nochmal kurz und dann normalisierte sich Dereks Sicht erneut. Eine kurze Durchsuchung der toten Widerstandskämpfer förderte zwei Handgranaten, ein paar Ersatzmagazine und ein Funkgerät zutage. Derek aktivierte das Gerät und wurde von statischem Rauschen begrüßt. "Daau? Sind Sie da?", fragte er in die plötzliche Stille des durchlöcherten Zimmers herein. Auf der anderen Seite rauschte und knackte es, dann drang Daaus Stimme verzerrt aus dem Lautsprecher. "Was denn? Sie leben noch?", fragte sie überrascht. "Damit haben Sie wohl nicht gerechnet", antwortete Derek triumphierend. Ein paar Sekunden herrschte Ruhe. Zweifelsohne ging auch sie nun ihre Optionen durch. "Das mit dem Boot hat gestimmt, nur falls Sie sich das fragen", kam schließlich die Antwort. "Ich konnte mir nicht so schnell irgendwelche falschen Koordinaten ausdenken." Derek musste unwillkürlich lächeln und verzog dann das Gesicht, als sich die Bewegung schmerzhaft auf seine Kopfverletzung übertrug. "Wollen Sie jetzt neu verhandeln?", fragte er. "Nun...", begann sie. Derek antwortete: "Ich hab eine gute und schlechte Nachricht für Sie, Daau. Die Gute ist, ich hab meinen Teil der Abmachung erfüllt. Die Schlechte ist, zumindest für Sie, dass ihre beiden Schergen auch tot sind und ich nicht. Wenn Sie also nicht wollen, dass ich Ihnen doch noch Lockhart auf den Hals hetze, dann sollten Sie sich besser meine neuen Forderungen anhören." - "Sie geben wohl nicht auf", rauschte Daaus Stimme durch den Äther. "Wie sie schon sagten, man kann sich nie sicher sein, ob sich die Geschäftsbedingungen nicht jederzeit ändern", antwortete Derek. Wieder kam lange keine Antwort. Dann sagte sie, offensichtlich wenig begeistert: "Ich höre." Als das Gespräch beendet war, schaltete Derek das Funkgerät aus und warf es zusammen mit seiner Waffe zwischen die Leichen am Boden. Dann verließ er die Wohnung, machte die Granaten scharf und warf sie durch die geöffnete Tür. Als der Raum explodierte, war er bereits hinter einer Ecke der umlaufenden Galerie in Deckung gegangen. Jetzt fehlte nur noch ein anonymer Hinweis, dass hier gerade ein Schusswechsel mit den gesuchten Terroristen von heute Morgen stattgefunden hatte, um die Sicherheitsleute so lange zu beschäftigen, dass er gefahrlos verschwinden konnte. RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 09.08.2016, 18:56 Und Ende. Spoiler (Öffnen) Ein halbes Jahr später gedieh Fontaine Solutions prächtig. Das private Sicherheitsunternehmen, das Derek mit einer kleinen Spende seiner neuen Freunde beim sozialistischen Widerstand gegründet hatte, kontrollierte ein paar der als Niemandsland bezeichneten Gebiete zwischen den Konzernenklaven und expandierte stetig. Sie verdienten ihr Geld mit dem Schutz der dort angesiedelten Firmen und bekamen einen kleinen Zuschlag von der SEFP, die sich mehr oder weniger zufällig genau in diese Gebiete zurückgezogen hatte. So entgingen sie den Razzien der anderen Paramilitärs und konnten von dort aus ungestört operieren, während Derek seinen Anteil bekam und die Firmen in seinem Zuständigkeitsbereich verschont blieben. Daau hatte getobt, aber am Ende hatten sie doch noch zu einer Einigung gefunden, mit der alle gut Leben konnten. Lockhart hatte nicht die Stadt unter seine Kontrolle gebracht, nachdem ein paar Holoband-Aufnahmen von der Brutalität in den Slums an die Öffentlichkeit gelangt waren und seitdem durch die Netze geisterten. Der Konzernrat hatte keine Wahl gehabt. Um den Imageschaden abzuwenden hatten sie der Privatarmee sämtliche Rechte im übergreifenden Stadtgebiet entzogen und so verdingten sie sich weiterhin damit, die Firmenzentrale von Kirschner Industries zu schützen. Das allein war ohne Frage ein lukrativer Auftrag und während seiner kurzen Vormachtstellung in einigen Stadtteilen hatte Lockhart sicher ein Vermögen verdient, aber für jemanden wie ihn, der weit höhere Ambitionen hatte, musste diese Entwicklung ziemlich ärgerlich sein. Derek auf der anderen Seite war mehr als zufrieden. Er lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und blickte durch das umlaufende Fenster nach draußen, wo der dämmrig erleuchtete, alles verschlingende Smog wie schweres Parfum über den Dächern hing. Diese Dunstwolke war es, in der er sich bewegte. Sie ermöglichte sein Sicherheitsgeschäft und verschleierte gleichzeitig seine weniger legalen Unternehmungen. Er wollte nicht sagen, dass er Terroristen deckte, aber er konnte ja auch nicht überall gleichzeitig sein. Irgendwo ging einem immer mal einer durch die Lappen, das gehörte einfach dazu. Derek musste unweigerlich lächeln. Er war der Geschäftsführer eines paramilitärischen Sicherheitsdienstes und gleichzeitig Unterstützer einer antikapitalistischen Terrorzelle. Ordnungshüter und Krimineller in einem. Er verkörperte alles, was diese Stadt ausmachte. Zwei komplette, sich ausschließende Gegenteile in einer Person vereint. Ein Paradox von so vielen in Central Pacifica. So wie mechanische Zikaden, die unaufhörlich zirpten, obwohl sie nichtmal wirklich am Leben waren. RE: Whiteys wirres Wunderland - wil - 09.08.2016, 19:21 So, ich hab jetzt mal das erste Kapitel gelesen und muss erstmal verschnaufen- so viel Text Ich hatte Schwierigkeiten, ein Interesse zu entwickeln, als du noch die grobe Ausgangslage beschrieben hattest. Das war mir irgendwie... recht verworren. Ich kam da nicht so richtig mit den ständigen Wechseln der Zeitform und zB. Wortwiederholungen klar. Als es dann aber konkreter wurde und du die nähere Umgebung beschriebst, hats mich dann doch gepackt. Da war irgendwie alles nach und nach viel runder, als hättest du nur eine Einarbeitungszeit gebraucht. Da werd ich auf jeden Fall bei Gelegenheit mit dem nächsten Kapitel weiter machen- Ich bin schon gespannt RE: Whiteys wirres Wunderland - Whitey - 09.08.2016, 21:22 Welche Wechsel der Zeitform denn? Oder meinst du die Wechsel von Vergangenheit zur Vorvergangenheit, das ist dann natürlich Absicht. Alles andere wäre ein Fehler, den ich berichtigen müsste. ^^ Kommt natürlich daher, dass man erstmal ein bisschen World-Building betreiben muss. Welche Worte werden zu oft wiederholt? Das kann man ja noch ändern. Ich werd jetzt eh nochmal alles überarbeiten, weil ich für DeviantArt ne Komplettversion mache. Ist übrigens auch lustig, denn der Anfang ist so ziemlich mein Lieblingsstück in dem ganzen Ding, weil es imo sehr schön die Undurchschaubarkeit des Sprawls beschreibt. Von daher ist Verworren wahrscheinlich eher gut. ^^ |