(14.06.2015)zer0x schrieb: Ich mag aber den damaligen Musikstil, als es noch keine Elektronischen Klangerzeuger gab oder diese nur sporadisch verwendet wurden, besser als die heutigen erfolgreichen Genres.
Außerdem machen es Computer einem heute sehr leicht überhaupt Musik produzieren zu können. Dadurch entsteht automatisch mehr Crap.
Du magst den
Ausschnitt der damaligen Musikstile, den du kennst, lieber. Mit elektromechanischen oder akustischen Instrumenten wurde auch schon genug schlechte Musik gemacht und auf Vinyl gepresst. Wenn du auf eBay oder Flohmärkten random ein paar Platten aus der Zeit zusammensuchst, die nicht von erfolgreichen/bekannten Musikern sind, bin ich mir ziemlich sicher, dass da auch genug Schund dabei ist, wegen dem du die damalige Musik sicherlich nicht mögen würdest.
Eigentlich müssen es nicht einmal unbekannte Künstler sein. Selbst verhältnismäßig erfolgreiche Musik aus der Ära bevor Synths die Musikszene dominierten (sagen wir mal vor ~1980) kann schon ausreichen. Gerade Schlager und Volksmusik aus der Zeit schafft es, auch ohne elektronische Klangerzeuger lyrisch wie musikalisch belanglose Werke zu fabrizieren.
Katja Ebstein und
Heino seien da mal als Paradebeispiel dafür genannt, dass das Fehlen von Synthesizern und ein Releasedatum aus dieser Zeit keineswegs dazu führt, dass ein Lied besser wird. Und das war bei weitem nicht nur auf die deutsche Populärmusik der Zeit beschränkt, in anderen Ländern spielte sich Ähnliches ab.
Es wurde viel Musik produziert, folglich war auch viel schlechte Musik dabei, die aber - wie in meinem letzten Post schon beschrieben - vollkommen zurecht in der Versenkung verschwunden ist.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Tut es nicht. Warum sollte man sich auch selbst widersprechen?
Schönberg wäre weder die erste, noch die letzte Person, bei der zwischen eigenen Äußerungen und eigenen Taten eine Diskrepanz besteht. So etwas kommt oft genug vor.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Die Natur lässt sich über Mathematik beschreiben, dazu ist diese schließlich da.
Fortgeschrittene Mathematik sicherlich. Aber im Falle von Krebs, Umkehrung und Krebsumkehrung sowie Transposition in der Zwölftonmusik reden wir hier von einfacher Algebra auf einem Blatt Papier und nicht von einer Annäherung oder gar Beschreibung der Komplexität der Natur.
(14.06.2015)zer0x schrieb: "kaum" ist aber kein Äquivalent zu "genau so". PMS (haha) benutzt Näherungsrechnungen, damit ist eine exakte Abbildung nicht möglich. Das Problem ist, dass man so unglaublich viele Variablen drin hat, dass es quasi unmöglich ist so etwas zu kopieren. Theoretisch ist es schon möglich eine perfekte Simulation dieser Welt zu erschaffen, aber ich glaube nicht, dass das noch zu unseren Lebzeiten passiert.
Wir reden hier von Nuancen. In der Theorie mag eine exakte Simulation eines akustischen Instruments unmöglich sein, in der Praxis werden aber bereits alle erdenklichen Einflüsse auf dessen Klang nachgebildet. Klanglich nimmt sich das nicht viel. Wenn du willst, dann ziehe ich das "kaum" zurück. Im Blindtest werden nur wenige Menschen in der Lage zu sein, das Imitat vom Original zu unterscheiden. Mit zunehmendem technischen Fortschritt wird diese Minderheit immer kleiner werden.
Der digitale Einfluss ist weniger spürbar, als man meinen mag. Prinzipiell lässt sich ein Kreis auch nicht mit kleinen Vierecken darstellen. In der Praxis wird aber jeder, der schon mal einen Bildschirm gesehen hat, bei einem .png oder .jpeg von einem Kreis nicht zuerst eine Masse aus tausenden Pixeln wahrnehmen, sondern einen Kreis.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Zu den anderen Sachen äußere ich mich nicht, da du meinen Post entweder nur sporadisch gelesen hast oder absichtlich Sätze aus dem Zusammenhang reißt. Ich wiederhole mich ungern, darum ist mir das zu doof.
Ich habe jeden der zitierten Beiträge durchgelesen und Zitate nur aus Gründen der Lesbarkeit, nicht aber der thematischen Verfremdung gekürzt. Aber wenn es dir angenehmer ist, das einfach auf diese Art und Weise abzutun, bitte.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Weil man sonst absolut nichts erreicht hat. Der Synthesizer wurde erfunden um andere Töne generieren zu können. Die ersten Synthesizer haben sich unglaublich extraterrestrisch und Sci-Fi haft angehört. Erst danach wurde versucht andere Instrumente nachzuahmen.
Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr. Auf das Theremin und dessen Verwendung in 50er Jahre B-Movies mag das vielleicht zutreffen, aber davon abgesehen war es stets der Anspruch von Synthesizern, akustische Instrumente nachzubilden.
Bereits die elektromechanischen Vorläufer der Synthesizer waren in erster Linie dazu gedacht, mit möglichst wenig Kosten und Platzbedarf ein Instrument zu schaffen, dass einem Pianisten/Organisten die Möglichkeit gibt, akustische Instrumente zu imitieren, ohne tatsächlich auf entsprechende Musiker angewiesen zu sein. Die ab 1935 verkaufte Hammond-Orgel, die auf dem Prinzip der additiven Synthese basiert und zu einem der frühesten massengefertigten Synthesizer zählt, war für Kirchengemeinden gedacht, die sich eine traditionelle Orgel nicht leisten konnten. Schon damals wurden die Produkte damit beworben, dass sie "the entire range of tone coloring of a pipe organ" erzeugen können.
Die späteren, bis in die 80er größtenteils ebenfalls auf dem Prinzip der additiven Synthese beruhenden Heim- und Alleinunterhalter-Orgeln waren genauso darauf ausgelegt, einem einzigen Keyboarder Imitationen von Orgeln, Blechbläsern, Streichern, Klavieren und ähnlichen Instrumenten zu liefern. Dazu muss man sich nur einmal die damalige Produktpalette von Farfisa, Wurlitzer, RMI und Konsorten ansehen, die mehr oder weniger alle mit Transistoren und additiver Synthese gearbeitet haben, genauso wie so ziemlich alle String Machines, die - wie der Name schon andeutet - einzig und allein dafür da waren, Streicher und gelegentlich auch andere Instrumente zu imitieren.
Synthesizer wurden - sobald sie Presets hatten - immer daran gemessen, wie gut sie nun eine Trompete, Streicher oder ein Klavier imitieren können. Bei modularen Synths gab es noch keine Presets in dem Sinne, weswegen der Vergleich mit anderen Synths, wer denn nun am realistischsten klingt, schwerfällt. Dennoch wurden sie auch damals schon dazu genutzt, reale Instrumente zu imitieren; Wendy Carlos'
Switched-On Bach (1968) ist ein Paradebeispiel für so ein Vorhaben und darüber hinaus der Startschuss für ausgiebigen Synthesizer-Gebrauch in populärer Musik. Oder
hier ein aus heutiger Sicht kurios anmutender Clip über "music with a strictly electronic beat"...aus dem Jahr 1950. Synthesizer und Sequencer wurden dazu genutzt, "Camptown Races" mit einem elektronischen, aber deutlich an akustische Instrumente angelehnten Arrangement zu spielen. Mit Sci-Fi hat das nichts zu tun.
Sci-Fi-Soundeffekte mögen für Filmkomponisten und elektronische Avantgarde interessant gewesen sein, aber für Band-Keyboarder war das mehr eine Spielerei, wegen der man sich nicht einen entsetzlich teuren Synthesizer anschaffen würde. Realismus war das angestrebte Ziel. Flexibilität ein weiteres.
Deswegen hat ein RMI 368X (1970) Schalter zum Wechseln und Kombinieren von Klavier-, Cembalo-, Orgel- und Lauten-Sounds, deswegen hat ein Roland SH-2000 (1973) Schalter zum Umschalten zwischen den 30 gängigsten Instrumentensounds, deswegen hat ein Solina String Ensemble (1974) Schalter für Streicher- und Bläser-Klangfarben, deswegen hat ein Yamaha CS-80 (1976) Presets, die "Strings", "Flute", "Electric Piano" und ähnlich heißen, ebenso der Sequential Circuits Prophet-5 (1978) und Rolands Jupiter-8 (1981). Die Bezeichnungen der Klangfarben waren nicht zufällig gewählt, sondern hießen so, weil sie die entsprechenden Instrumente tatsächlich nachahmen wollten.
Yamahas DX7 (1983) ist dann vor allem deswegen populär geworden, weil er zu der Zeit die mit Abstand realistischsten Sounds alle auf Knopfdruck reproduzieren konnte, besonders Bläser und Glockiges. Er und alle folgenden digitalen Synths, die auf FM- oder Wavetable-Synthese basieren, haben die analogen Synthesizer jahrelang geradezu obsolet gemacht, weil sie einfach deutlich realistischer und weniger abstrakt klangen.
Neben den erwähnten, bekannteren Beispielen gab es natürlich noch unzählige Synths, die ich hier nicht alle auflisten werde. Auf Vintagesynth.com findet man genug andere, wenn man sich dafür interessiert.
Aber eines haben sie gemeinsam: das Streben nach realistischen Sounds. Aus heutiger Sicht mag es befremdlich wirken, aber damals galten die Nachbildung von Piano, Bläsern und Strings mit analoger Technik lange Zeit als Königsdiziplin, an der ein synthetisches Tasteninstrument gemessen wurde. Ob ein Synth abgefahrene Sounds produzieren konnte, war bestenfalls zweitrangig (und ohnehin mehr für experimentelle Musik relevant als für Pop, Rock, Top40 und Ähnliches); Realismus war das Hauptmerkmal, mit dem Synths beworben wurden. Und ein Prophet-5 Brass-Sound oder ein Solina-Streicher-Sound haben sich einfach bewährt, weil sie polyphon spielbar und realistischer als alles bisher mit einem Keyboard Realisierbare gewesen waren.
Als dann digitale Sampler aufkamen*, kam langsam die Arbeitsaufteilung in Geräte, die künstliche, halbwegs realistische Klänge erzeugen konnten (wie beispielsweise das Fairlight CMI und der E-mu Emulator) und absichtlich unnatürliche Sounds, wie sie nur Synthesizer erzeugen können; Arpeggiatoren und Sequencer, die in den 80ern populär wurden und teils bereits in die Instrumente eingebaut waren, hatten daran auch ihren Anteil.
Bis dahin war es aber die Hauptaufgabe von Synthesizern, Ersatz für akustische Instrumente zu liefern. Wer sich keinen Sampler leisten konnte, musste seine Synths dafür auch weiterhin verwenden, bis selbst Synthesizer gegen Ende der 80er mit Samples als Oszillatoren arbeiteten.
(*Gut, den analogen Sampler Mellotron gab es schon lange zuvor, der war aber schwer zu bewegen, fehleranfällig und bestenfalls zweifach multitimbral. Einfach mal die Bänder zwischendurch wechseln fällt daher weg und minimiert den Nutzen für den Live-Einsatz, das ging bei digitalen Samplern später deutlich einfacher und schneller. Andere analoge Sampler hatten ähnliche Probleme oder waren wie das Orchestron einfach zu obskur, als dass sie weitläufige Verwendung fanden.)
Die Entwicklung von analogen Drum Machines, die ebenso Synthesizer sind und für EDM eine zentrale Rolle spielen, lief in der Hinsicht sehr ähnlich ab, nur dass man dabei kein Streichorchester oder eine Brass Band imitieren wollte, sondern einen Drummer. Als Geräte für Alleinunterhalter und zum Proben konzipiert, wurden sie zunehmend ausgereifter, verloren dann aber Anfang der 80er langsam ihre Bedeutung, weil man mit digitaler Technik, in dem Fall Samples, noch realistischere Ergebnisse erzielen konnte. Rolands TR-808 beispielsweise wurde von der Fachpresse zerrissen, weil eine Linn LM-1 um Welten mehr nach einem richtigen Schlagzeug klang.
Da sie (ebenso wie analoge Synthesizer mit Tasten) durch den folgenden Preisverfall und die ohnehin simplere Technik recht günstig zu haben waren, waren sie für Underground- und Hobby-Musiker wieder erschwinglich, die sie dann ausgiebig für House, Electro, Hip-Hop, Techno und Ähnliches verwendeten. Mit der Zeit wurden diese Musikrichtungen populär und
dann war eine künstliche und gänzlich unrealistische Klangästhetik auf einmal weitläufig nachgefragt, nachdem das Streben nach Realismus die Entwicklung von Synths über Jahrzehnte geprägt hat.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Erst mit den digitalen Synths war man wirklich in der Lage sich den Hüllkurven anderer Instrumente anzunähern.
Angenähert hat man sich, wie oben schon erläutert, bereits lange vor digitalen Synthesizern. Aus heutiger Sicht mögen digitale Synths vielleicht für manche als erste Geräte gerade so realistisch klingen, dass man ihnen zuordnen kann, was sie darstellen sollen. Aber aus damaliger Sicht war bereits alles davor realistisch und wollte auch so sein.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Aber welche Band, die es sich leisten kann, nimmt schon einen Synth, der ein Piano nachahmt, wenn sie auch ein echtes Piano benutzten kann? Genau keine.
Genau keine...außer den hunderten bis tausenden Bands, die in den 70ern und 80ern auf der Bühne standen und einen Keyboarder hatten. Selbst die größeren Künstler, die sich Konzertflügel und Techniker leisten könnten, hatten Synths auf der Bühne. Einfach, weil man damit flexibler ist. Ein Konzertflügel klingt wie ein Konzertflügel. Ein Synthesizer hingegen kann so ziemlich alles imitieren und ist für einen Pianisten/Organisten ohne Probleme spielbar, so dass man sich nicht um extra Musiker kümmern muss. Piano-Sounds, Streicher-Flächen, Synth-Chöre, Bläser-Fanfaren...das alles noch auf Knopfdruck. So kann man zusätzlich zur üblichen Band-Besetzung von Drums, Bass, Gitarre und Gesang noch so ziemlich alles andere einstreuen, um das Arrangement aufzufüllen. Und das sowohl live, als auch im Studio. Durchsetzungsfähig ohne weiteren Kompressor oder Equalizer sind diese Sounds zudem allemal, was es umso verführerischer macht, sie einzusetzen. Das war für damals beeindruckend genug, dass man es haben wollte und manch ein Keyboarder einen Synthpark auf der Bühne hatte, der sowohl teurer als auch wartungsintensiver als ein Klavier war.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Synthesizer haben die Aufgabe Töne zu erzeugen, die nicht natürlich klingen.
s.o.
(14.06.2015)zer0x schrieb: 2. Ein Synthesizer erzeugt immer den gleichen Ton (außer wenn er einen Zufallsgenerator integriert hat, welcher aber auch nur einem bestimmten Schema folge), ein nicht-elektronisches Instrument klingt jedes Mal anders.
Ich gehe mal davon aus, dass du dir nicht im Klaren darüber bist, wie ein Synthesizer funktioniert.
Synthesizer, gerade vor ~1983, sind dafür berüchtigt, dass sie nicht immer gleich klingen, weil ihre spannungsgesteuerten Oszillatoren von äußeren Einflüssen wie der Temperatur abhängig sind und ums Verrecken ihre Stimmung nicht halten können. Selbst die relativ stimmstabilen und nicht absichtlich alá Supersaw verstimmten Synths unter ihnen klingen nicht immer gleich, weil die Oszillatoren
- a) freilaufend sind, also deren aktuelle Position im Durchlauf ihrer Wellenform nicht auf Knopfdruck resettet wird.
- b) immer noch minimalen Schwankungen unterliegen.
Hat man nun auf einem Minimoog einen Sound mit zwei oder drei Sägezahn-Oszillatoren, so laufen diese Wellen in unterschiedlichen Phasenlagen, die aufgrund der minimalen Schwankungen der Frequenzen nie komplett synchron sein werden, wodurch ein schwebender, stets leicht unterschiedlicher Klang entsteht. Durch die freilaufenden Oszillatoren verändert sich zudem der Punkt der Wellenform, an dem der Ton erklingt, wenn man eine Taste drückt, was dazu führt, dass der Attack leicht härter oder weicher sein kann.
Dazu kommen ähnliche Schwankungen bei spannungsgesteuerten Filtern und spannungsgesteuerten Verstärkern sowie deren Hüllkurven, die nicht immer exakt gleich reagieren.
Unter anderem aus diesem Grund ist der Minimoog so erfolgreich geworden und wird - wie andere Analogsynths, die diese vermeintliche Imperfektion teilen - heute noch für den Preis eines Kleinwagens gehandelt.
Wenn ein professioneller Musiker zweimal den selben Ton in der selben Artikulation und Lautstärke auf einem Klavier oder einer Violine spielt, dann klingen beide Töne so ähnlich wie zwei nacheinander auf einem Minimoog oder ähnlichen Synth gespielte Noten. Für den Zuhörer entsteht kein großer Hörunterschied, obwohl jeweils minimale Variationen dabei sind. Egal, ob das nun das Schwingverhalten der Saiten oder die Position der Wellenform der Oszillatoren betrifft.
Bei digitalen Synthesizern und analogen, aber digital gesteuerten Oszillatoren waren diese Eigenheiten einige Zeit lang nicht gegeben und zwei Töne konnten tatsächlich identisch sein. Mit dem Aufkommen von virtuell-analogen und der Renaissance analoger Synths seit Ende der 90er sind das Aufheben der digitalen Phasenstarrheit und Simulieren von freilaufenden Oszillatoren samt Stimmungsschwankungen allerdings inzwischen wieder weit verbreitete Features in Hard- und Software-Synths, so dass auch diese auf Wunsch nie komplett identisch klingen. In der Hinsicht werden analoge Synthesizer sogar mit Physical Modelling nachgeahmt, Rolands AIRA-Serie (2014) wäre ein aktuelles und recht gefeiertes Beispiel für eine darauf basierende Hardware-Reihe.
(14.06.2015)zer0x schrieb: 3. Wie schon gesagt, klingen solche generierten Töne absichtlich unnatürlich. Es ist also eher ein Eingriff in die Natur.
Wie schon gesagt, s.o.
Ein Streich- oder Blasinstrument klingt allerdings so gesehen nicht weniger künstlich, da es meines Wissens nach kein natürliches Äquivalent zu diesen Instrumenten gibt und das kontrollierte Schwingen der Saiten oder der Luftströme in der Hinsicht genauso ein Eingriff in die Natur wäre.
Das einzige in der Hinsicht wirklich natürliche und weit verbreitete Instrument wäre wohl die Stimme, da für deren Verwendung keine Hilfsmittel notwendig sind und andere Tiere wie beispielsweise Vögel damit ebenfalls Musik machen.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Selbst dort hat man einen genormten Kammerton und vorgegebene Noten. Es geht nicht nur um deren Abfolge.
Bezogen auf Beaumaris' "Free Jazz, Field Recording, Noise oder Musique concrète"? Dort hält man sich sicherlich nicht daran, dass ein A bei 440 Hz liegt.
Ein Blechblasinstrument oder bundloses Saiteninstrument wie ein Kontrabass ermöglicht es im Falle von Free Jazz, auf den Kammerton komplett zu verzichten und wild durcheinander zu spielen. Selbst auf einer an sich herkömmlich gestimmten Gitarre kann man mit Bending- und Slide-Techniken Noten spielen, die außerhalb traditioneller Tonleitern und Intervalle liegen. Von der ohnehin wenig tonal wahrgneommenen Stimmung eines Schlagzeugs ganz zu schweigen. Synthesizer erlauben es ebenfalls, sich von einem Kammerton zu entfernen; oben erwähnter Minimoog schafft es nicht einmal, über den Verlauf der Tastatur eine komplett schlüssige Stimmung zu bewahren, von absichtlichen Verstimmungen ganz zu schweigen.
Field Recording basiert darauf, Geräusche aus dem Alltag einzufangen, die sich in den wenigsten Fällen an einen Kammerton oder darauf basierende Noten halten. Musique Concrete ist in der Hinsicht ähnlich und entfernt sich mit seinen charakteristischen, nicht-diskreten Manipulationen der Abspielgeschwindigkeit von Tonbändern ebenfalls schnell von dem Ideal eines Kammertons oder einer Tonleiter.
Bei Noise ist sowieso alles erlaubt. Gestimmt, alternativ gestimmt, verstimmt, nicht selten so stark verzerrt, dass man ohnehin nicht mehr weiß, was für eine Note oder was für ein Akkord es eigentlich war. Feedback, Rauschen und Störgeräusche sind auch nicht gerade tonal im traditionellen Sinne.
Hinsichtlich dem Bezug auf einen Kammerton und davon ausgehende Noten würde ich nicht sagen, dass auch nur eines dieser Genres darauf all zu großen Wert legt, weder zwangsläufig, noch tendenziell.
(14.06.2015)zer0x schrieb: 2. Ohne Orchester keine Komposition.
Selbst klassische Komponisten haben ohne Orchester komponiert und ihre Ideen eher mit Tinte und Papier sowie unter Zuhilfenahme von Tasteninstrumenten wie Cembalo und Clavichord als Stütze aufgeschrieben.
Heute ist es auch bei orchestralen Stücken, beispielsweise für Hollywood-Soundtracks nicht viel anders, nur dass man sich dabei ein Klavier oder eine Workstation zur Unterstützung nimmt.
Von der Komposition ausgehend lassen sich auch andere Arrangements umsetzen, die dennoch eine ähnliche Grundstimmung und Ästhetik aufweisen.
Der grundlegende Charakter eines Stücks definiert sich meiner Auffassung nach nicht danach, auf welchem Instrument es gespielt wird, sondern mehr über Tempo, zugrunde liegende Harmonien und Tonleitern (oder ein Fehlen davon) so wie Dynamik. Ein Stück existiert auch unabhängig davon, ob und von welchen Musikern es gespielt wird. Zumal selbst eine getreue Interpretation nicht unbedingt der eigentlichen Vorstellung des Komponisten entsprechen muss.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Die Bewertung ist eben nicht willkürlich. Denn um Musik zu bewerten, greift das Gehirn auf bekannte Signale oder Geräusche, die sich über den Zeitraum der Evolution des Menschen in unsere Instinkte eingebrannt haben, zurück. Genau wie bestimmte Formen, Farben oder Gerüche bei uns bestimmte Reaktionen auslösen.
Da der wahrgenommene Ton nicht mit bekannten Geräuschen übereinstimmt oder diesen ähnelt, empfinden wir sie als unnatürlich.
Es geht nicht darum, dass wir den Klang eines Pianos oder eines Chellos schon aus der Natur kennen. Aber wir wissen, wie sich schwingende Bänder harmonisch verhalten (Oberwellen). Da selbst Dashy's angesproche PMS' eine Redundanzreduktion durchführen, die lange nicht ausreicht um unser Hörvermögen zu täuschen. Und selbst wenn dieser Punkt erreicht ist, werden noch über einen langen, langen Zeitraum nicht alle Komponisten diese verwenden können, denn sie sind schlechtweg zu aufwendig.
Wie weiter oben schon erwähnt, behaupte ich das Gegenteil.
Physical Modelling ist inzwischen ausgereift genug, um selbst Musiker täuschen zu können. Ein Waldorf Zarenbourg (2012) kann E-Pianos damit modellieren, ein Physis Piano (2013) schafft das selbe für akustische Klaviere. Beide sind fortgeschritten genug, dass die meisten Menschen nicht nur zuordnen können, was für ein Instrument es sein soll, sondern im A/B-Blindtest vermutlich nicht einmal zuverlässig Original von Imitat unterscheiden können. Ob da nun Saiten/Tines/Reeds angeschlagen werden oder nur simuliert werden, sind technische Details, die nur diejenigen interessieren, die im Vorfeld schon wissen, was was ist. Für einen reinen Zuhörer hingegen ist das irrelevant, er hört einfach nur einen Klang und nicht die Technik, die dahinter steckt.
Für den Komponisten sind beide Geräte nicht annähernd so aufwendig, wie du andeutest. Beide Geräte haben bereits genug gut klingende Presets, so dass man die Instrumente in Plug&Play-Manier nutzen kann. Es ist keine Programmierung notwendig, auch wenn sich dadurch natürlich - wenn gewünscht - noch weitere Einstellmöglichkeiten ergeben. So ein Instrument zu spielen oder dafür zu komponieren ist daher nicht schwieriger oder leichter als selbiges für ein Klavier zu tun.
(14.06.2015)zer0x schrieb: Zur letzten Frage: Der Zeitpunkt der Entdeckung/Erfindung ist irrelevant. Wenn ich jetzt mit meinem Tacker rythmische Töne erzeuge, ist er ein natürliches Instrument (wenn auch bestimmt kein schönes). Wenn ich am PC mir eine neue Waveform generiere und diese wiedergebe, ist sie nicht natürlich.
Wie weiter oben schon erwähnt, lehne ich die Natürlichkeit von Instrumenten, die synthetisch hergestellt werden, ab. Das Geräusch von Metall auf Metall (oder gar Plastik) mit dem eventuellen Quietschen eines Scharniers, wie es ein Tacker erzeugt, entfernt sich meiner Auffassung nach zu sehr vom Klangbild der Natur, das für einen solchen Klang kein Äquivalent hat.
Wenn ein industrieller oder ausgiebiger handwerklicher Prozess nötig ist, um einen Gegenstand herzustellen, entfernt man sich meiner Ansicht nach in der Regel eher von der Natur, als eine Natürlichkeit zu erzeugen/beizubehalten.
Auf jemanden, der noch nie einen Tacker gehört hat (und durch die relativ junge Erfindung von Tackern sicherlich auch noch nicht evolutionär darauf eingestimmt wurde), wird intuitiv auch ein Tacker ungewohnt klingen. Genauso, wie für jemanden, der noch nie eine Violine gehört hat, eine Violine ungewohnt klingen wird. Was dann in deinem Modell zu folgender Reaktion führt:
(14.06.2015)zer0x schrieb: Da der wahrgenommene Ton nicht mit bekannten Geräuschen übereinstimmt oder diesen ähnelt, empfinden wir sie als unnatürlich.
Andersrum wird jemand, der seit seiner Geburt ausgiebig Synthesizermusik gehört hat, dessen Klang mit einem bekannten Geräusch asoziieren und diesen als natürlich empfinden.
Die Unterscheidung in "unnatürlich" und "natürlich" ist, wenn sie auf der Unterteilung in "bekannte" und "nicht bekannte" Klänge basiert, rein subjektiv und von eigenen Erfahrungen in der eigenen Umwelt geprägt; von einem "wir", das gleichermaßen empfindet, kann keine Rede sein.