SharpShard schrieb:Also ist Demokratie doch übel, weil es solch eine massive Lücke im System gibt?
Es gibt zwei Dinge die die westliche Demokratie allen anderen Staatsformen grundsätzlich überlegen macht.
1. Ihre Fähigkeit die Freiheit der Bürger zu akzeptieren und zu wahren.
2. Die Fähigkeit friedlich einen Regierungswechsel herbeizuführen.
Die "massive" Lücke im System, in diesem Fall also, dass eine profillose Regierung den demokratischen Diskurs einschläfern kann, entpuppt sich bei näherer Betrachtung, in meinen Augen, als ein etwas komplexeres Problem, welches nicht so ohne weiteres mit ein oder zei Handgriffen aus der Welt zu schaffen ist.
Wenn wir hier kurz bei Frau Merkel bleiben. Die Frau konnte in ihrer Karriere von einigen charakterlichen und politischen Umständen profitieren, die ihr überhaupt erlaubt haben eine entsprechende Politik zu fahren.
Nur als Beispiele diesbezüglich: Frau Merkel gilt als vergleichsweise paranoid. Wenn sie glaubt, dass ihr jemand gefährlich werden kann, dann versucht sie die entsprechende Person irgendwie als politischen Faktor auszuschalten. Sie ist praktischerweise nicht der "Mord- und Einschüchterungstyp", aber ihre Fähigkeit inner- und außerparteiliche Konkurrenten auszuschalten ist enorm. Vielleicht wird ihre persönliche Bereitschaft politische Inhalte der Macht zu opfern auch dadurch etwas beeinflusst.
Eine andere Sache wäre die vergleichsweise Schwäche des linken politischen Spektrums. Man sehe sich doch einfach mal die politische Karte der Bundesrepublik an. Die CDU/CSU beansprucht erfolgreich weite Teile der Mitte und deckt, bisher zumindest, den kompletten rechten Teil der Gesellschaft ab der dabei noch immer demokratiefähig ist. Auf der linken Seite kämpft die SPD noch immer mit den Folgen der Agenda 2010 und konkurriert mit Linken und Grünen um die im Grunde gleiche Gruppe an Wählern. Besonders jetzt, da die FDP nicht mehr im Bundestag vertreten ist, bleibt damit einem demokratisch gesinnten Menschen, der sich allerdings nicht innerhalb des rot-rot-grünen Spektrums wiederfinden kann nur die Wahl der Unionsparteien, oder Protestwahl.
Man darf außerdem nicht vergessen, dass wir nach wie vor Geschichte erleben. Die digitale Revolution, die für uns heute oftmals so selbstverständlich ist, bedeutete in den letzten Jahrzehnten eine exponentielle technische und beinahe ebenso schnelle kulturelle Veränderung. Die meisten Menschen machen sich garnicht bewusst, dass die letzte Phase mit vergleichbarem Wandlungstempo die industrielle Revolution war. Eine Zeit die ebenfalls durch enorme soziale und politische Unruhe geprägt wurde. Es ist logisch, dass die Demokratie Veränderungen brauchen wird um zukunftsfähig zu bleiben. Während wir uns da über die bestmöglichen Anpassungen streiten müssen wir aber wohl auch die Angriffe durch den erneuten Aufstieg des Autokratismus abwehren.
Putin, Xi Jinping, Erdogan, Orban, Trump und mit Blick auf zukünftige Wahlen auch diverse Leute im Bereich von AfD, FN oder 5 Sterne stellen die Grundsätze der freiheitlichen Gesellschaft selbst in Frage. Die richtige Antwort auf die Modernisierung der Demokratie kann aber nicht in einem Rückgriff auf Despotismus und Führerkult liegen.
Noch ein kleiner Zusatz zu euren Beiträgen: Ich bin immer für Amtszeitbegrenzungen zu gewinnen. Vielleicht nicht unbedingt 3 Jahre. Internationaler Standard sind 4-5 und allein aus Effektivität kann man es, meiner Meinung nach, gerne dabei belassen. Aber eine Regel einzubauen, damit das politische System sich nicht zu sehr auf eine Person fixieren kann, weil die beispielsweise maximal zweimal gewählt werden kann, halte ich für sehr sinnvoll.
Den Wind können wir nicht bestimmen, aber die Segel richtig setzen.
- Lucius Annaeus Seneca -