Zitat:Es geht ja jetzt nicht um Behidnerte, sondern Assoziale.
Leute die arbeiten können aber nicht wollen.
Ich denke da gibt es aber auch eine ganze Reihe von unterschiedlichen Hintergründen die nicht immer auf das hier wohl vermutete "ich sitz halt lieber vor der Glotze und werde gefüttert statt malochen zu gehen" hinauslaufen.
Ich lebe seit geraumer Zeit nahezu ausschließlich von Honoraren für Vorträge und Kurse an Volkshochschulen die ich anbiete. Das ist keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit und sie bringt mir nichts in Bezug auf die Altersvorsorge.
Ich gehöre zu denjenigen, die einen Brandbrief der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft lesen und beim lesen der Zeilen:
Zitat:"Prekäre Beschäftigung in der Weiterbildung" klingt fast noch zu vornehm, hält man sich beispielsweise vor Augen, dass eine Honorarlehrkraft in Integrationskursen oder in den Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) finanzierten Sprachprogrammen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auch bei 25 Unterrichtsstunden pro Woche monatlich netto weniger als 1000 Euro verdient. Es ist ein Skandal, dass akadeisch qualifizierte Kursleiterinnen und -leiter deshalb unterstützende Sozialleistungen beantragen müssen um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
...denken: "Boah, wie cool wäre es monatlich annähernd 1000 Euro zu verdienen, noch dazu mit dem Zusatz "Netto" der impliziert, dass Sozialversicherungsabgaben vom Arbeitgeber gezahlt werden!
Mir wäre es sicherlich möglich "irgendeinen Job" zu bekommen. So wurde mir beispielsweise von der Agentur für Arbeit u.a. die Arbeit in einem Call Center nahe gelegt. Ich bin dort auch zur Schulung gegangen in den denen die Konditionen dargelgt wurden. Für 8,67 die Stunde sollte man dort möglichst rund um die Uhr und nicht nur nach geregelten Zeitplänen "abrufbar" sein. Damit wäre jede Möglichkeit genommen neben dieser (halben) Stelle auch weiterhin Veranstaltungen an den Volkshochschulen anzubieten. Ich habe mich dagegen entschieden.
Ich habe Geschichte und Anglistik studiert und sowohl den Master of Arts als auch den Lehramtsabschluss Master of Education erlangt. Vor allem aber ist für mich Geschichte wirklich Berufung und jeder der mich mal in einer meiner VHS Veranstaltungen erlebt hat kann mir das bestätigen. Ich wusste bereits in der Grundschule (wo ich z.B. ein Referat mit dem Titel: "Schwarze Flagge in Sicht - Piraten der Karibik vom 16. bis zum 18. Jahrhundert" gehalten habe (dessen Quellenmaterial sich damals zugegebener Weise vor allem auf ein Was ist Was Buch und ein Anleitungsbuch von Sid Meier's Pirates Gold beschränkte
)), das ich Geschichte studieren wollte und daran hat sich seit damals nichts geändert.
Ich sehe einige meiner Komilitonen, die nach dem langen Studium genau wie ich es nicht geschafft haben einen der wenigen sozialversicherungspflichtigen Jobs für Historiker zu ergattern und die dann zum Teil solche Angebote wie das oben genannte Call Center eingegangen sind und seither mit ihrem Leben hadern und teilweise vollkommen in die Depression abstürzen. Dies trifft auch (und vor allem) auf solche zu, die nach dem Lehramtsabschluss in den Schuldienst gegangen sind und dort alle desillusionierenden Erfahrungen machen die jene Lehrer erwarten, die nach dem Abschluss des Lehramtsstudiums immer noch die Hoffnung hegen, dass man als Lehrer vor allem lehren dürfe statt sich mit Unmengen an Papierkrieg, Helikoptereltern, willkürlich und zweckfrei angesetzten Konferenzen und denjenigen Kindern herumschlagen zu müssen, die nicht einmal die absoluten Grundregeln zwischenmenschlichen Verhaltens kennen... (ich riskiere hier vom Thema abzukommen und habe mich schon in dem
dazugehörigen Thread über das Schulsystem in Deutschland ausgelassen).
Lange Rede kurzer Sinn, es gibt auch durchaus Fälle in denen es nicht die Faulheit ist, die Leute dazu bringt manche Stellen nicht anzunehmen, ohne dass sie dies zu Sozialschmarozern macht.
Trotz meiner Honorartätigkeit an derzeit fünf verschiedenen Volkshochschulen und noch einigen weiteren Bildungseinrichtungen erfülle ich die Kriterien auf Grund derer ich Hartz IV beantragen könnte. Das tue ich allerdings nicht, weil ich eben nicht die Angriffsfläche bieten möchte auf Grund derer man mich als Sozialschmarozer hinstellen könnte und andererseits auch weil, auch wenn es ungern zugegeben wird Hartz IV als ein Makel gilt, der Bewerbungschancen reduziert (was ich allerdings annehme ist etwas Wohngeld, dass mir monatlich überwiesen wird, aber angesichts der Tatsache dass ich neben den anderen Tätigkeiten auch Ehrenamtliche Nachhilfe gebe kann ich da guten Gewissens in den Spiegel sehen ohne mich für einen Systemschmarozer halten zu müssen).
Denn natürlich bewerbe ich mich um "richtige" Festanstellungen, an Volkshochschulen, Universitäten, bei Museen, Stadtarchiven, Geschichtswerkstätten, Verlagen etc. Bei mir an der Wand hängt eine Deutschlandkarte mit einem Pin für jede Bewerbung die ich herausgeschickt habe, weiß für Initiativbewerbungen, grün für Bewerbungen auf Ausschreibungen und aucch wenn ich zugeben muss, dass ich mich in der jüngeren Vergangenheit eher um stellen in der näheren Umgebung beworben habe, habe ich insgesammt doch schon 12 von 16 Bundesländern abgedeckt. Leider werden Stellen in diesen Bereichen oftmals intern vergeben, so dass Bewerber von Außerhalb zumeist keine wirkliche Chance haben und die Ausschreibungen eher erfolgen um den Buchstaben des Gesetzes genüge zu tun. Gerade im öffentlichen Dienst werden Festanstellungen an Volkshochschulen gerne auch als "Endlagerstätten" für anderswo nicht mehr gebrauchte, unkündbare Beamte missbraucht selbst wenn diese keine Kompetenzen für die betreffenden Stellen haben (so erhielt kürzlich eine 57 Jährige Beamte eine Stelle als Fachbereichsleiterin für den Bereich Englisch an einer Volkshochschule, obwohl sie seit ihrer Schulzeit kein Wort Englisch mehr gebraucht hatte und bis dahin auch keiner Tätigkeit nachgegangen war die auch nur periphär mit Bildung zu tun hatte).
Bei all dem ist es aber nicht so, dass kein weiterer Bedarf an Stellen in diesem Bereich bestünde. Ganz im Gegenteil nimmt die Menge an Arbeitsaufgaben im Bereich Bildung eher zu. Nichtsdestotrotz werden hier Stellen eher abgebaut als neu geschaffen. Bildung im Sozial- und Gesellschaftswissenschaftlichen Bereich sind für die Wirtschaft weniger Interessant als in diversen Naturwissenschaftlichen Bereichen und Bildung an sich ist zwar ein schönes Wort für Wahlkampfslogans, in der Praxis aber wird sie bei der Finanzierung oft eher zurückgesetzt.
Was das Thema "Sozialschmarozer" angeht denke ich, dass das damit assoziierte Bild nicht immer noch in richtung des faul auf der Couch vor dem Fernseher liegenden Hartz IV Empfängers liegen sollte, sondern wesentlich mehr auch bei der Sorte erfolgreichen Unternehmer die im Gegensatz zu dem besagten Hartz IV Empfängern das System auf illegale Weise destabilisieren in dem Sie große Summen dem Fiskus vorenthalten indem sie mit einem hohen Maß an krimineller Energie Gelder auf schweizer Konten deponieren und ihre wahren Einkünfte verschleiern.
Die Kritik an so widerlichem Verhalten wird gerne als "Neid" oder "Stammtischparole" abgetan, aber der wirtschaftliche Schaden der dadurch entsteht wenn eine signifikante Zahl (ich will nicht verallgemeinern) der Reichen und Superreichen auf diese Weise den Staat und die Gesellschaft betrügt mag wesentlich systemgefährdender sein, als die sozialen Leistungen und ihr Missbrauch durch diejenigen es ist, an die beim Stichwort "Sozialschmarozer" für gewöhnlich als erstes gedacht wird.