HeavyMetalNeverDies schrieb:Das RKI hat schon 2013 vor einer Corona-Virus-Pandemie gewarnt:
Ich bin absolut kein Freund von Frontal 21. Auch wenn dort normalerweise nicht direkt gelogen wird, so ist die Sendung doch bestrebt alles in ihrer Macht stehende zu tun um Skandal-Narrative aufzubauen, die sich bei genauerer Betrachtung und oftmals auch Kenntnis der Prozesse als ziemlich weit hergeholt erweisen.
Erstmal. Das Robert-Koch Institut hat nicht explizit 2013 vor einer Corona-Virus Pandemie gewarnt.
Das RKI war federführend in dem Beratungsgremium tätig, zu dem neben dem RKI auch diverse Ministerien und andere Organisationen gehörten. Beispielsweise das Paul-Ehrlich Institut, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und die Bundeswehr. Das ganze gehört zur so genannten "Risikoanalyse Bevölkerungsschutz für Bund und Länder.
Ein Corona Virus wurde als bekannte mutationsfreudige Möglichkeit für Atemwegserkrankungen gewählt. Asien als Ursprung, weil die vorherigen Epidemien alle ihren Ursprung in Asien hatten. Insofern bleibt erst einmal festzuhalten, dass die Risikoanalyse bei ihren Szenarioerwartungen offensichtlich den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Muss man ja auch einmal erwähnen, unsere Fachgremien können akurate Szenarien entwerfen um unseren Staat auf Krisenfestigkeit zu überprüfen.
Bleibt die Frage: "Warum hat die Regierung nichts gemacht und den Bericht sieben Jahre lang ignoriert?"
Die Antwort. Hat sie nicht. Erstmal existiert der Bericht nur aus dem Grund, weil 2009 die Bundesregierung die Entwicklung regelmäßiger Risikoanalysen durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe angeordnet hat. Die Entwicklung der Methodik erfolgte dann über die Jahre 2010 und 2011 und 2012 gab es dann besagten ersten Bericht. Der Bericht geht dann an die zuständigen Behörden, die Minister und wird dem Parlament als Bericht zur Kenntnisnahme vorgelegt. Erstmal ist also, zumindest im Jahr 2012, jeder Zuständige informiert worden, sofern derjenige nicht ohnehin Teil der recht umfangreichen Liste an Beteiligten war. Zwischenzeitig hatten wir allerdings mehrere weitere Wahlen und obwohl die Berichte natürlich weiter existieren liegen sie selbstverständlich dann irgendwo in irgendeinem Aktenkabinet, Wandschrank, oder existieren nurnoch elektronisch. Die Minister können darauf selbstverständlich zurückgreifen, aber mal Hand auf's Herz, wie viele hier lesen sich sämtliche mitgelieferten handbücher komplett durch? Das ist ein in etwa vergleichbares Phänomen, wie wenn sich ein Minister auf Stand bringen soll. Nur, dass Minister noch wesentlich mehr nachzulesen haben und ein Jahre alter Bericht, der den direkt verantwortlichen Stäben sowieso vorliegt naturgemäß nicht höchste Priorität hat.
Aber im Grunde ist der Vorwurf von Frontal 21 ja nur auf eine Sache bezogen. Warum sind nicht genug medizinische Produkte da, wenn damals doch vor einem Mangel an medizinischen Produkten gewarnt wurde?
Der Grund ist recht einfach. Wir können uns nicht auf alle Katastrophen perfekt vorbereiten. Neben diesem Seuchenszenario gibt es die entsprechenden Berichte des Bundesamtes noch für Dürren, Stromausfälle, Winterstürme, Sturmfluten, zu viel Schmelzwasser mit übertretenden Flüssen, oder Unfälle in Kernkraftwerken. Es wäre schön, wenn sich der Staat auf sämtliche Probleme im Vorfeld vorbereiten könnte, aber Lagerhaltung kostet, spezielle Infrastruktur kostet, Notfallpläne auf Stand halten kostet und der Staat hat neben dem Katastrophenschutz noch weitere Aufgaben. Es sind einfach nicht genug Mittel für alle Baustellen gleichzeitig da und so manche Vorbereitungsmaßnahme, beispielsweise gegen bestimmte Hochwassersituationen ist nicht nur massiv kostspielig, sondern je nachdem auch ein erheblicher Einschnitt in die Naturbelassenheit oder die Lebensqualität der Bürger. Um es ganz einfach auszudrücken: Die Verantwortlichen stehen im Zweifel vor der Wahl, ob sie einen bestimmten Geldbetrag dazu nutzen die strategischen Erdölreserven aufzufüllen, die Deiche zu modernisieren, Brücken zu reparieren, oder mehr Geld in das Technische Hilfswerk zu pumpen. Oder, oder, oder.
Dazu kommt, dass derartige Risikoanalysen nicht nur vom Bundesamt angefertigt werden. Es gibt genug mehr oder weniger seriöse Informationen über Risiken die der Bundesrepublik drohen. Sich auf alle Risiken entsprechend vorzubereiten wäre reine Geldverschwendung. Und ja, das meine ich ernst. Klar ist es blöde, dass wir gerade nicht genug Desinfektionsmittel und Schutzmasken irgendwo auf Lager haben. Solche Lager helfen uns aber auch nicht, wenn die schöne Ware dann im Hochwasser fortschwimmt, weil wir nicht mehr genug Geld für die Wartung des Flusslaufes hatten. Der Bericht geht auch beispielsweise von drei Jahren Entwicklungszeit bis zum Impfstoff aus. Wie viele Lager sollen wir denn anlegen? Wo sollen die hin? Wer passt darauf auf? Wer soll das alles denn bezahlen? Wo hätte das Geld herkommen sollen, welches wir jetzt zur Lohnfortzahlung einsetzen? Wer hätte noch Platz für Flüchtlinge in 2015 frei machen können?
Die Wahrheit ist, dass unser Staat versucht sich auf alle Krisen in gewissem Rahmen vorzubereiten und dabei in Kauf nehmen muss, auf keine Situation perfekt eingestellt zu sein. Wenn also eine Krise sich irgendwo anbahnt, dann verfügt der Staat über allgemeine Reserven, die Verantwortlichen fangen an miteinander zu reden und machen dann mit den zur Verfügung stehenden Mitteln das Beste aus der Situation. Das war 2015 bei dem plötzlichen Anstrum an Asylsuchenden der Fall. Das war 2014 bei der Krimkrise der Fall, als man in Berlin und anderen Hauptstädten versucht hat das Risiko eines Krieges mit Russland zu managen. Das war in der Eurokrise, der Finanzkrise und davor überall sonst der Fall. Dabei passieren auch Fehler und Regierungen setzen unterschiedliche Schwerpunkte. Wir haben seit der Finanzkrise beispielsweise die Schuldenbremse, die einige Vorbereitungen, wie Lagerhaltung unmöglich macht. Andererseits jetzt unserem Staat die Freiheit gibt in so einer Krise über das neutrale Gut "Finanzreserven" zu verfügen, die ihrerseits wieder andere Antworten erlauben.
Daraus jetzt einen großen Skandal formen zu wollen, bei dem die Regierung "die Gefahr ignoriert" habe, ist zwar ein guter Weg Einschaltquoten zu generieren, aber extrem unseriös. Ja, mit einer globalen Pandemie war prinzipiell zu rechnen. Deswegen hat sich unser Land in den letzten 20 Jahren ja auch nach und nach Pandemiepläne zugelegt und entsprechende Netzwerke in den Behörden aufgebaut und gepflegt. All das, wird in dem Bericht über die Risikoanalyse übrigens erwähnt. Auf Seite 66, unter dem Punkt :"Wie können sich die Behörden auf das Ereignis vorbereiten? Spricht der Bericht von den Pandemieplänen der zuständigen Ämter. Da steht erstmal nicht, dass die Ämter jetzt rieisige Lager füllen, oder irgendwen zur Vorratshaltung verpflichten müssten um die Probleme zu bewerkstelligen. Nur um das zu betonen, der Bericht schließt solche Maßnahmen auch nicht aus, aber sowas ist Teil der behördlichen Entscheidungsgewalt. Bei den behördlichen Maßnahmen die zu treffen sind formuliert die Risikoanalyse den Anspruch, dass die zuständigen Stellen schnell miteinander in koordinierten Kontakt treten und zusammen mit den Fachgremien über Isolierungs- und Quarantänemaßnahmen entscheiden. Da werden zukünftige Analysen genaue Details zu ans Tageslicht fördern. Die fließen dann in zukünftige Berichte ein, die dann auch in Zukunft bei den Ministern in den Schubladen liegen und zur Anpassung der zukünftigen Pandemiepläne führen. So gesehen Katastrophenschutzpolitik wie sie immer und überall abläuft. Aber Business as usual ist natürlich nicht dazu geeignet den Zuschauern diesen herrlich schaurigen Gefühlsmix aus Angst und Wut zu vermitteln. Damit also uninteressant für Frontal 21.
Übrigens, rein von der Inszenierung her ein sehr schönes und typisches Frontal 21 vorgehen. Gib einem Typen den du interviewst einfach so mal eben einen 88 Seiten Bericht in die Hand. Wohlwissend, dass derjenige die Sache jetzt sowieso nicht erfassen kann und erzähle dann einfach, dass das RKI den aktuellen Ausbruch vorhergesagt habe. Dann bekommst du nämlich garantiert die völlig uninformierte Aussage deines Gegenübers, der sich fragt, warum die Bundesregierung sich denn nicht mit ihm und anderen Branchenvertretern in Kontakt gesetzt habe. Ist ein relativ typischer Frontal 21 Journalismus.
Die Frage lässt sich übrigens ganz einfach beantworten. Der Bericht ist nicht vertraulich gewesen. Jeder der sich über diese Risiken hätte informieren wollen, hätte das tun können. Aber Branchenvertreter a.k.a Lobbyisten sind an staatlichen Katastrophenschutzmaßnahmen nicht interessiert. Es sei denn, diese Maßnahmen zwingen ihnen etwas auf, oder stellen eine Möglichkeit für Einnahmen dar. So lange der Staat also nicht ankommt und dem Händler Geld dafür bietet einen Teil seines Lagers für Katastrophenvorräte zur Verfügung zu stellen, oder ihn dazu zwingen will seine Waren in Zukunft durch einen behördlichen Prüfungsprozess vor dem Export gehen zu lassen, haben sich Staat und Händler in dieser Sache absolut garnichts zu sagen.
Übrigens gut möglich, dass die entsprechenden Lobbyverbände in Kenntnis gesetzt wurden. Ich hab' zu meiner Zeit auch schon im Auftrag meiner Chefs Berichte aus Ministerien weitergeleitet und in Meetings mit Gewerkschaftsvertretern und Lobbyverbänden gesessen die zur Stellungnahme aufgefordert waren. Das ist dann wahrscheinlich aber vor 6-7 Jahren passiert. Und wenn da keine Verträge oder Gesetzesänderungen rauskamen gleicht sich das Erinnerungsvermögen von Lobbyisten dem Gedächtnis eines Goldfisches an.
Den Wind können wir nicht bestimmen, aber die Segel richtig setzen.
- Lucius Annaeus Seneca -