Gehört hier zwar eigentlich nicht her aber nach dem nicht alle den GDL fred verfolgen hier noch mal kluge und weiße worte
Bahnstreik, zum x-ten Mal! Eigentlich reicht es. Aber die Deutschen sollten sich nicht genervt abwenden, denn die Auseinandersetzung zwischen Lokführern und Bahn ist zu wichtig. Gerade Verfassungspatrioten, Gerechtigkeitsliebhaber und Demokraten sollten ganz genau hinsehen.
Wer gerade stundenlang auf einen Zug warten musste, will nichts mehr von der Bahn hören, nichts von Lokführern, Streiks, Verhandlungen. Jeder Fahrgast kann das verstehen. Dabei sollte jeder Bürger um Verständnis werben. Denn so einen Arbeitskampf hat Deutschland schon lange nicht gesehen. Drei Gründe, warum der Streik der Gewerkschaft der Lokführer (GdL) der wichtigste der Berliner Republik ist.
1. Eigenartigerweise haben Bahn und Arbeiter in diesem Tarifkonflikt noch nicht über Löhne gesprochen. Es geht zunächst um ein Grundrecht.
Diejenigen, die sich im Zweifel eher nur einen Gedanken machen als zwei, schreiben den “Streikterror” (Peter Hahne) allein Gewerkschafts-Chef Claus Weselsky, dem “Größen-Bahnsinnigen” (Bild) zu. Oder sie haben andere Motive, dann sagen sie, dass hier einer mit den Lokführern seine “Machtgelüste” (Bahnvorstand) auslebe und taktische Fehden auf dem Rücken der Bahngäste austrage.
Dabei ist einer der erstaunlichsten Fakten dieses Arbeitskampfes, dass Deutsche Bahn und Lokführer in 16 Verhandlungsrunden noch nicht über Löhne gesprochen haben. Oder über Arbeitszeiten. Oder Schichtregelungen. Über irgendetwas, das mit dem Arbeitsalltag der GdL-Mitglieder zu tun hat. So viel öffentlicher und privater Druck, die ganzen Schlagzeilen - bisher hat es den Gewerkschafts-Mitgliedern noch nichts gebracht. Wenn Weselsky tatsächlich ein Egomane mit Napoleonkomplex wäre, würde er diesen Komplex auch auf dem Rücken seiner Mitglieder ausleben. Und doch halten sie alle die Füße still. Warum?
Deutsche Bahn und Bundesregierung haben die Mitglieder der GdL in eine Situation gebracht, in der für sie die konkrete Verbesserung ihres Arbeitsalltags gerade nicht mehr das Wichtigste ist. Sie glauben viel mehr, dass sie um die Existenz ihrer Gewerkschaft kämpfen und um ihr Grundrecht, sich frei zu vereinigen und für ihre Ziele zu kämpfen. Das ist in Artikel 9 des Grundgesetzes festgelegt.
Denn am 10. Juli soll ein Gesetz den Bundesrat passieren, durch das nur noch die größte Gewerkschaft Abschlüsse aushandeln darf, wobei Einigungen, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorher treffen, bestehen bleiben.Die Bundesregerung will damit „friedliche Konfliktlösungen“ fördern. Für Weselsky ist dieses Gesetz “ein Angriff auf die Gewerkschaftsbewegung”. Damit sollen jene Gewerkschaften beerdigt werden, die “noch Kraft entfalten können und das auch wollen”.
Weselsky hat Recht. Nur 14 Prozent der deutschen Arbeitnehmer sind laut Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln überhaupt in einer Gewerkschaft organisiert. Dabei streiken gerade die Industriearbeiter kaum noch. Im Zweifel könnte deren Arbeit auch ins Ausland verlagert werden, das aber geht bei Piloten, Klinikärzten und eben Lokführern nicht. Über deren kleinen Gewerkschaften hängt das Gesetz wie ein Damoklesschwert.
Bevor es in Kraft tritt, muss die Gewerkschaft so viel erreichen wie es nur geht, denn danach wird sie machtlos sein. Sie muss so viele Arbeitsgruppen wie möglich vertreten dürfen, muss so hohe Abschlüsse wie möglich erzielen, muss schließlich darauf hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht dieses Gesetz kippt. Deswegen will die GdL nach den Zugbegleitern auch noch die sogenannten Lokrangierführer, die die Züge in den Bahnhöfen umparken, vertreten. Circa 3.100 von ihnen arbeiten für die Bahn, zurzeit vertritt eine andere Gewerkschaft, die EVG, deren Interessen.
Würde sich die Gewerkschaft jetzt auf ein unverbindliches Ergebnis mit der Bahn einigen, könnte der Konzern die “Prüfung” des Ergebnisses so lange hinauszögern bis das Gesetz in Kraft getreten ist. Dann dürfte sie nicht mehr streiken. Die Bundesregierung hat die GdL mit ihrem Tarifgesetz in eine Ecke gedrängt und die ganze Auseinandersetzung radikalisiert. Wegen des neuen Gesetzes geht es für die Lokführer nun um alles oder nichts. Für deutsche Grundgesetz-Patrioten aber darum, wie ein wichtiges Grundrecht ausgelegt werden soll.
2. Der GdL-Streik hat Signal-Funktion: Viele andere verhandeln gerade über Löhne.
Die Auseinandersetzung bei der Bahn ist bemerkenswert, weil sie so heftig und lang ist. In diesem Frühjahr streikte allerdings auch die IG Bergbau, Chemie, Energie. Das hatte sie seit 44 Jahren nicht mehr getan. Kurz darauf legten die Angestellten des Öffentlichen Dienstes die Arbeit nieder. In allen Branchen wollen die Arbeitnehmer jetzt endlich höhere Löhne, nachdem sie sich jahrelang zurückgehalten haben, um die Existenz ihrer Betriebe nicht zu gefährden. Die Metaller bekommen 3,4 Prozent mehr, die Arbeiter bei Volkswagen ebenso.
Der GdL-Streik hat Signal-Funktion, gerade weil es noch keine Tarifabschlüsse gibt, weil hier noch Grundsätzliches verhandelt wird und diese Gewerkschaft so eine hohe Schlagkraft hat. Welchen Stellenwert haben Gewerkschaften nach Jahren des Mitgliederschwundes? Im Zeitalter von Globalisierung, Flexibilisierung und ja, auch im anbrechenden Roboterzeitalter? Die Lokführer zeigen wie keine andere Gewerkschaft, dass Streiks wirken können und diese Art der Interessensvereinigung noch nicht veraltet ist - und das gibt allen Arbeitnehmern im Land mehr Punch in ihren Verhandlungen.
3. Die Lokführer irritieren mit ihrer Standfestigkeit das Land. Denn so etwas hat es lange nicht gegeben in Merkels Republik.
Wenn die Pariser Taxifahrer unzufrieden sind, streiken sie wie alle anderen. Aber manchmal hören sie nicht einfach auf zu arbeiten. Sie fahren lieber weiter Passagiere durch die Stadt. Allerdings beachten sie dann jeden Paragraphen der französischen Straßenverkehrsordnung. Sie halten immer bei Gelb, biegen nur dort ab, wo sie es auch dürfen und überholen nicht rechts. Die Taktik ist effizient. Der Verkehr in Paris bricht zusammen, wenn die 17.702 Taxifahrer alle Regeln befolgen.
Kein Regelbuch kann ein großes System wie den Straßenverkehr in jedem Detail ordnen. Bürger, Arbeiter, Beamte müssen ab und zu von den Vorgaben etwas abweichen oder den Spielraum ausnutzen, den ihnen die Regeln lassen, damit das System überhaupt funktioniert. Mini-Rebellionen sind Schmiermittel unseres Alltags und große Rebellionen die Pfeiler unserer offenen Gesellschaft.
Die Mitglieder der Lokführer-Gewerkschaft GdL widersprechen der Deutschen Bahn, die nur ungern mit ihnen verhandeln will, und sie widersprechen dem Konsens in Deutschland, Konsens immer gut finden zu müssen. Die Franzosen streiken achtmal, die Iren doppelt so viel. Und nun auch die GdL. In unzähligen Verhandlungsrunden haben sie sich geweigert, bei zentralen, existenzbedrohenden Forderungen der Deutschen Bahn nachzugeben. GdL-Chef Claus Weselsky hat seinen Mitgliedern ein Versprechen gegeben und er plant, es zu erfüllen. Er will es sich nicht zerreden lassen durch wachsweiche Formulierungen, will sich nicht herauskaufen lassen, er will sein Anliegen nicht auslagern in ein Gremium vermeintlich apolitischer Experten, er kann sich nicht verstecken wie die Lobbyisten in der Hauptstadt. Weselsky und seine Lokführer bringen mit diesem Streik das Politische dorthin zurück, wo es hingehört, auf die Straßen, Bahnsteige, Busbahnhöfe der Republik, in den Alltag der Menschen, der in den Büros von Berlin-Mitte manchmal außer Reichweite sein kann.
Nicht dieser Streik ist erstaunlich, sondern die Empörung darüber, die ganze Genervtheit. Dass ein Gewerkschafter die Interessen seiner Arbeiter mit Nachdruck verfolgt, sind wir vielleicht nicht gewohnt. Wir sollten es aber sein. Denn dieses Ringen zwischen den Interessen ist nicht das Geschwür der Demokratie wie es die Ignoranten, Faulen und Demagogen gerne darstellen wollen. Es ist ihre Seele.
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